1135 - Cathys Friedhof
Noch sehe ich nichts und kann dir deshalb auch nicht glauben.«
Die Worte hatten sie geärgert und provoziert. Das war für mich auch Sinn der Sache gewesen.
Sie lächelte. Dann hob sie ihr rechtes Bein an und stellte den Fuß auf die Grabplatte. Der nächste folgte, und sie stand jetzt höher. Ich war nicht näher herangegangen, weil ich abwarten wollte, was Cathy tat, um das Tor zu öffnen.
Zunächst nichts. Sie kniete sich auf die Altarplatte. Mir wandte sie ihr Profil zu. Den Rücken hatte sie durchgedrückt, den Kopf angehoben, und so schaute sie zum wolkigen Himmel, an dem der Mond stand.
Cathy hob die Arme an. Sie streckte sie dem Himmel entgegen, und plötzlich sah ich, daß sich in meiner Umgebung etwas veränderte. Es fing damit an, daß sich die Dunkelheit zurückzog oder auch von einer anderen Farbe überlagert wurde.
Aibongrün!
Jetzt fiel mir auf, daß Cathy ihre Lippen bewegte. Sie sprach schnell und flüsternd. Es waren Sätze, die ich nicht verstand, die für sie sehr wichtig waren, denn aus dem Hintergrund schob sich etwas hervor, das auf mich wirkte wie eine gläserne Landschaft.
Ein unheimlicher Vorgang begann. Die normale Welt wurde zurückgedrückt, dafür schob sich die andere vor, Aibon übernahm tatsächlich die Kontrolle, und beide Reiche oder Welten waren zu sehen. Sie hatten sich nur übereinandergeschoben.
Ich hatte noch keine Ahnung davon, welche der beiden die stärkere war. Es gab keine scharfen Abgrenzungen. Sie flossen ineinander, aber ich war überzeugt, daß Aibon gewinnen würde. Wie sonst hätte Cathy diese Welt erreichen sollen?
Viel Zeit blieb mir nicht. Noch immer war sie für mich eine vierfache Mörderin, die ich bestraft haben wollte.
Aus dem Stand sprang ich in die Höhe und hatte mit einem Satz die waagerechte Grabplatte erreicht.
Ich hielt mich hinter Cathys Rücken auf und sagte nur einen Satz: »Du kommst mit!«
»Zu spät, John, zu spät!«
Die Antwort war so etwas wie ein Jubelschrei gewesen, und ich mußte zugeben, daß sie recht hatte…
***
»Bleib du hier stehen!« sagte Suko und wandte sich sofort von Tanner ab. Für ihn stand fest, daß etwas passiert sein mußte. Er rannte durch die oberen Räume. Die meisten Türen waren verschlossen, aber eine stand offen.
Mit gezogener Waffe sprang der Inspektor über die Schwelle. Er schaute sich in einem großen Raum um, in dem Licht brannte. Er sah weder John noch Cathy, aber er wußte, daß sie sich hier aufgehalten hatten. Es war von ihnen noch etwas zurückgeblieben, das Suko nicht beschreiben, sondern nur fühlen, konnte.
Zudem fielen ihm die auf dem Boden liegenden Kleidungsstücke auf, die einer Frau gehörten.
Suko riß die Schranktüren auf. Er fand nichts. Er schaute aus dem Fenster, das nicht zum Friedhof hinwies, sondern zur anderen Seite, aber auch draußen war nichts zu sehen, nur eben die tiefe Dunkelheit.
Er zog sich wieder zurück. Hier war etwas passiert. Anschließend mußten beide das Zimmer verlassen haben und dann aus dem Haus gegangen sein.
Suko lief schon die Treppe hinab, als ihn Tanner aus dem Entree her anrief. Der Chief Inspektor hatte sich gedreht und winkte ihm mit beiden Händen zu.
»Was ist denn?« Mit einen letzten Sprung überwand Suko die restlichen Stufen.
»Ich weiß es nicht, verdammt. Ich bin völlig von der Rolle. Da draußen am Friedhof geht etwas vor.«
»John?«
»Kann sein, ich glaube. Schau selbst.«
Suko verließ das Haus und blieb auf der Treppe stehen. Bei Tageslicht hätte er alles besser und genauer sehen können. So aber mußte er sich schon anstrengen, und seine Augen wurden immer größer, denn dort, wo sich der Friedhof befand, bewegte sich die Landschaft. Der Vergleich traf irgendwie nicht zu, aber Suko fiel auch kein besserer ein. Dort schob sich etwas zusammen, und auch die tiefe Dunkelheit war verschwunden. Dafür breitete sich der düstere und auch grüne Schein aus, den Tanner und Suko auch aus dem Keller kannten.
»Weißt du, was das ist, Suko?«
»Ich denke schon. Das ist die andere Welt. Das ist Aibon. Es ist im Vormarsch. Das Grab muß so etwas wie ein Tor oder eine Schnittstelle zwischen den Welten sein. Cathy hat es geschafft. Aibon kommt, um sie zu holen.«
»Und auch John.«
Das brauchte Tanner nicht erst zu sagen. Suko hatte selbst gesehen, wie sein Freund auf die Grabplatte gesprungen war und hinter der nackten Frau stand.
Er hörte sie rufen.
»Zu spät, John! Zu spät…«
»Nein!« knirschte Suko. »Nein, nichts ist
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