1137 - Madame Tarock
guten Zulauf, das weiß ich aus bestimmten Quellen. Es gibt genügend Politiker und auch Wirtschaftsleute, die zweigeteilt sind. Auf der einen Seite die großen Realisten und Macher und auf der anderen sehr unsicher, was die Zukunftsplanung angeht. Da wollen sie sich dann lieber etwas absichern und gehen deshalb zu Madame Tarock.«
»Ein interessantes Spiel«, sagte ich.
»Weißt du mehr darüber?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber es stammt wohl von den alten Ägyptern ab. Auch Hesekiel, der Prophet, kannte es. Die Israelis sind in der babylonischen Gefangenschaft wohl auch damit in Kontakt gekommen. Das kann stimmen, muss nicht stimmen, und man hat die Motive der Karten im Laufe der Jahrhunderte auch immer wieder verändert.«
»Sollen sie. Ich lasse die Finger davon.«
»Ist auch besser so.«
»Lässt du dir denn die Karten legen?«
Ich musste lachen. »Nein, auf keinen Fall. Sorry, aber ich stelle mich gern einem Schicksal, das ich nicht kenne.«
Harry sagte nichts. Er konzentrierte sich mehr auf die Fahrerei, die uns über eine mit Kopfsteinen gepflasterte Landstraße führte. Rechts und links von ihr wuchsen die hohen Pappeln, und so hatte die Straße das Aussehen einer Chaussee, wie es sie in den östlichen Bundesländern noch genügend gibt.
Die Kanäle hatte ich schon ein paarmal gesehen. Wir hatten sie auch überquert. Auch die Boote, mit denen im Sommer die Gäste transportiert wurden, hatten sich nicht versteckt. Einige davon wurden überholt, und die Männer arbeiteten dabei zumeist im Freien vor den schützenden Bootshäusern.
»Es dauert nicht mehr lange«, erklärte Harry. »Am Ende der Straße müssen wir rechts abbiegen.«
»Du bist der Boss«, sagte ich nur.
Harry lächelte. Er schaute mich dabei jedoch nicht an, sondern behielt die feuchte Fahrbahn im Auge, auf der genügend Blätter klebten, die der Wind nicht mehr fortgeweht hatte. Das Pflaster war glitschig geworden, und wer hier fuhr, tat gut daran, sich an bestimmte Tempogrenzen zu halten.
Etwa drei Minuten später tauchte an der rechten Seite die Abzweigung auf. Es war ein schmaler Weg, der mitten in das Gelände hineinführte, benutzt sicherlich nur von landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Treckerreifen hatten ihre Spuren hinterlassen. Uns wurde ein freier Blick gestattet. Hinweg über Wiesen, die nicht eingezäunt waren. Über dem Gras lag Dunst wie eine dünne Nebelplatte.
Jenseits der Wiesen sahen wir einen Waldstreifen. Harry nahm eine Hand vom Lenkrad und wies hin. »Hinter diesem Wald liegt unser Ziel.«
»Okay.«
Der Weg verlief sich. Wir fuhren tatsächlich jetzt über die Wiese, die sehr seifig war, was auch der Omega merkte. Der Wald rückte näher, aber keiner von uns sah den Pfad, der hindurchführte. Er wuchs vor uns wie eine Mauer, die alles stoppen wollte, was in ihre Nähe geriet.
»Du bist ja gut zu Fuß«, sagte Harry, als er langsamer fuhr.
»Stopp!«
»Wieso?«
»Halte an!«
Meine Stimme hatte sich wohl sehr drängend angehört, und so trat er auf die Bremse. Wir rutschten noch ein Stück über den glatten Boden hinweg, dann kam der Opel zum Stillstand.
»Was hast du denn?«
Ich fasste Stahl an der rechten Schulter an und zog ihn hinüber auf meine Seite. Als er einen bestimmten Winkel erreicht hatte, sagte ich: »Schau mal nach vorn.«
»Und?«
»Da ist eine Lücke!«
Er entdeckte sie nach einigen Sekunden, gab mir recht und fragte dann: »Was hat das zu bedeuten?«
»Diese Lücke, mein lieber Harry, ist dort zu Ende, wo das dunkle Auto steht.«
»Verdammt, du hast recht.« Er setzte sich wieder normal hin und schnallte sich los. »Dann muß unsere Madame Tarock Besuch bekommen haben, denke ich.«
»Genau das ist es.«
»Aber wer?«
»Hat sie nicht genügend Kunden?«
»Ja, das schon«, gab er zu. »Aber kaum hier auf ihrem Hausboot. Die besuchen sie immer in der Stadt.«
Auch ich hatte den Gurt gelöst und sagte: »Anscheinend gibt es Ausnahmen.«
»Muß ja wohl, wenn der Wagen nicht ihr gehört.«
Uns hielt nichts mehr im Omega. Wir stiegen aus und bewegten uns auf das lichte Buschwerk mit dem Niederwald zu. Stimmen hörten wir nicht, und auch wir sorgten dafür, so wenig Geräusche wie möglich zu verursachen.
Es war still in der Umgebung. Außer dem Gluckern von Wasser vernahmen wir nichts.
»Ob es wieder ein Killer ist?« fragte Harry leise.
»Traust du es ihm zu?«
»Ja. Wer immer Zingara erledigen will, er hat Macht. Aber sie weiß sich zu wehren. Ich rechne damit, dass wir wieder
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