1141 - Die Königin von Avalon
ehemaligen Freunde warten auf dich…«
***
Es war für mich die Reise in eine Welt, die ich nicht verstehen und nur akzeptieren konnte. Ich hatte den Schritt getan und fühlte mich danach wie auf Flügeln getragen.
Dabei hielt ich die Augen offen, um etwas zu sehen, aber ein großer Schatten vor mir nahm mir die Sicht. Ich hörte aus dem Schatten eine sirrende Stimme und wusste sofort, dass sich wieder der Erzengel gemeldet hatte.
»Alles wird sich richten, John Sinclair. Es hat so lange gedauert für euch Menschen. Es ist das Ende und zugleich der Beginn. Das Herz wird seine Ruhe finden…«
Was er genau damit meinte, blieb im Dunkeln, denn der Schatten zog sich zurück und um mich herum öffnete sich die andere Welt der Insel Avalon. Ich sah wieder und musste erleben, dass ich nicht in der strahlenden Sonne stand, sondern am Eingang einer Höhle, die tief unter der Erde lag. Vor mir sah ich die Treppe und erinnerte mich daran. Sie führte hinab in die Gruft der Ritter und auch in den Bereich hinein, in dem ich den dunklen Gral zurückgelassen hatte, um Abbé Bloch zu retten.
Mir ging es nicht schlecht. Ich war Gast auf der Insel, und ich würde wie ein Gast behandelt werden und nicht wie ein Feind.
So schritt ich die breiten Stufen hinab in den Untergrund, aus dem mich das Licht begrüßte und mir den Weg bis zum Ende der Treppe wies. Ich war allein, aber die Stimmen hörte ich trotzdem. Weit und doch nah. Es waren die Geister der toten Ritter, die versuchten, mit mir Kontakt aufzunehmen.
Bisher hatte ich weder Nadine noch Dean McMurdock gesehen, aber ich ging davon aus, dass ich sie in der Tiefe der Höhle finden würde. Stufe auf Stufe ließ ich zurück. Eine kühle doch auch zugleich angenehme Luft umwehte mich. Sie trug auch den Schall der Stimmen zu mir hin. Sie waren echt. Sie gehörten Menschen und nicht irgendwelchen Geistern, die unsichtbar um mich herum schwebten.
Die große Gruft öffnete sich vor meinen Augen. Es war für mich etwas Wunderbares und wieder einmal etwas Einmaliges, in diese unterirdische Welt hineinschauen zu können.
So fremd und trotzdem so bekannt. Weit, rund, besetzt von den Skeletten der Ritter. Ein Anblick, der anderen Menschen die Sprache verschlagen hätte, doch mir tat er gut, denn ich sah, dass sich nichts verändert hatte.
Das ungewöhnliche Licht gab auch meinem Gesicht einen geisterhaftblassen Schimmer. Den Dunklen Gral sah ich nicht, dafür hoben sich vor mir und von der Tafelrunde ein Stück entfernt zwei Körper ab.
Ich sah die Frau, und ich wusste, dass es Nadine Berger war, obwohl ich nur auf ihren Rücken schaute. Sie war mit einem Mann zusammen, der kniete. Als ich näher kam, stellte ich fest, dass er in eine offene Truhe hineinschaute.
Ich hörte Nadine sprechen. »Deine ehemaligen Freunde warten auf dich«, sagte sie.
Was es bedeutete, war mir nicht klar, aber nach diesem Satz drehte sie den Kopf - und sah mich.
Sie schrie nicht vor Überraschung auf. Sie rief auch nicht meinen Namen, sie nickte mir nur zu. Ich war so weit an sie heran gekommen, dass ich das Lächeln auf ihrem Gesicht sah und auch so etwas wie ein Strahlen in den Augen.
»John - endlich! Du bist genau zur rechten Zeit gekommen. Du kannst es noch sehen.« Sie führte mir ihre Hand entgegen, die ich gern umschloss. Es tat mir gut, Nadine berühren zu können, denn sie war für mich immer eine wunderbare Frau gewesen.
Diesmal sah sie so stolz aus. Wie eine Herrscherin. Allein daran erkannte ich, dass sie sich wohl fühlte. Wir hätten uns sicherlich viel zu erzählen gehabt, doch diese Zeit blieb leider nicht. Es gab wichtigere Dinge zu tun, und Nadine flüsterte mir zu: »Schau in die Truhe, John. Dort liegt es.«
Es gab keinen Grund, ihr nicht zu glauben. Aber es war schon sensationell, dass ich das Herz dieser Jahrtausendfrau plötzlich zu sehen bekommen sollte.
McMurdock nahm mich nicht zur Kenntnis. Er kniete vor der Truhe und hatte seine Hände um den vorderen Rand geklammert. Dabei drangen leise Stöhnlaute aus seinem Mund.
War das Herz der Johanna größer als ein normales? Das glaubte ich nicht. Sie hatte sicherlich im übertragenen Sinne ein größeres Herz gehabt, aber es war trotzdem etwas Besonderes, denn es schlug.
Nach all den Jahrhunderten hatte es tatsächlich nicht aufgehört zu schlagen. Das wollte mir kaum in den Kopf. Auf der Oberfläche malten sich die Adern ab. Darin bewegte sich das Blut, und es wurde bei jedem Zucken weiter gepumpt.
Mein gesamter Körper
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