1141 - Die Königin von Avalon
weiß es. Die Stimmen der Toten gehören meinen ehemaligen Freunden.«
»So ist es richtig«, flüsterte Nadine. Sie sah, dass Dean eine Gänsehaut bekommen hatte. »Über den Tod hinaus, mein Freund. Der Schwur wird nicht gebrochen. Auch wenn das Herz in Sicherheit ist, sie bewachen es weiter.«
»Ja«, sagte Dean leise. Er senkte den Kopf, um dorthin zu blicken, wo sich der kleine Altar oder das Podest erhob, auf dem eine kleine Truhe stand. Sie war aus schlichtem Holz gefertigt. Es gab keinen Prunk daran, keine Bemalungen, kein Blattgold auf den Außenseiten oder kunstvolle Schlösser. Gerade in ihrer Schlichtheit lag das Besondere.
McMurdock blickte Nadine fragend an.
»Soll ich?« flüsterte er.
»Bitte. Ich habe nichts dagegen. Die Truhe gehört dir. Du hast sie lange genug gesucht.«
Er zitterte leicht. Dann berührte er die Truhe. Die Truhe war mit zwei Schlössern gesichert. Das Metall fühlte sich sehr kalt an. Er musste nur einen Hebel in die Höhe drücken und nichts aufschließen. Der Deckel ließ sich leicht anheben.
Er tat es langsam.
Er hörte sich atmen. Er vernahm auch die Stimmen in seinem Kopf, die ihn noch mehr ablenkten. Er glaubte auch, einige Worte aus dem Wirrwarr hervor verstehen zu können. Es waren nur Fragmente, über die er nicht länger nachdachte, doch sie berührten ihn schon, denn die Stimmen hatten ihm, erklärt, dass nun auch der letzte in der langen Reihe erschienen war, um den Kreis zu schließen. Was das genau bedeuten konnte, darüber dachte er nicht nach. Der Wunsch, endlich das Herz sehen zu können, war einfach übermächtig.
Und so hob er den Deckel an. Er richtete sich dabei nicht auf, sondern fiel auf die Knie, um dem Herz der Jungfrau so nahe wie möglich sein zu können.
Nadine Berger hatte in nicht belogen. Vor ihm lag das, was er so lange beschützt hatte. Das Herz der Heiligen Johanna!
Kein Irrtum. Er erkannte es genau. Und es hatte sich auch nicht verändert.
Es sah noch immer so aus wie das Herz im Schloss der Hexe Gesine. Es war nichts vertrocknet und lebte auf seine eigene Art und Weise weiter. Das Herz schimmerte feucht, als wäre Öl darüber geträufelt worden. Sehr deutlich zeichneten sich auf seiner Oberseite die kleinen Wülste ab, und sie zitterten leicht, weil das Herz eben noch schlug.
Dean McMurdock wusste nicht, was er denken sollte. Die Gedanken jagten wirr durch seinen Kopf. Er hatte Kopfschmerzen. Er merkte auch, wie sein Blut in Wallung geraten war. Als er kniete, erfasste ihn Schwindel. Das Herz verschwamm vor seinen Augen, und er musste den Blick erst abwenden, um später noch einmal richtig hinschauen um sich konzentrieren zu können.
Erst als er Nadines Hand auf seinem Haar spürte, fühlte er sich besser. Die Berührung schien einiges in ihm gelöst zu haben. Aus seinem Mund entwich ein stöhnender Atemzug.
»Ist es das Herz?« fragte sie.
»Ja, ja, Nadine. Es ist das Herz, das ich früher hergebracht habe. Aber ich habe es nicht in die Truhe gelegt. Bei mir hat es einen anderen Platz gefunden.«
»Ich weiß. Unter einem Baum. Ich hielt es für besser, es hier in dieses Refugium zu legen, wo es seine Ruhe gefunden hat.«
»Es schlägt noch immer!« flüsterte es. »Ich sehe das Zucken, und ich weiß nicht…«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Es ist die Kraft eines Engels, die dafür gesorgt hat. Manchmal können auch Engel ein schlechtes Gewissen haben. Johannas Beschützer hatte etwas gut zu machen, und das hat er versucht. Es wird so lange schlagen, bis alles geregelt ist, mein Freund.«
»Und… und wann wird es soweit sein?«
»Es ist bereits soweit«, erklärte Nadine mit leiser, aber fester Stimme. »Du bist das letzte Glied gewesen. Mit dir schließt sich der Kreis, mein Freund.«
»Ich?« hauchte McMurdock und hob den Kopf noch weiter an. »Wie soll ich das verstehen?«
»Du bist der letzte Überlebende aus der Garde. Man hat dich ausgesucht, aber jetzt wirst du dich nicht mehr quälen müssen. Eine andere Gruppe, die sich auf die Suche nach diesem Kleinod gemacht hat, existiert nicht mehr. Die Verräter sind ausgeschaltet. So wirst auch du deinen ewigen Frieden finden können.«
Er hatte genau zugehört und jedes Wort verstanden. Dean dachte auch weiter. Plötzlich spürte er den Schwindel. Nur sehr mühsam brachte er die nächste Frage hervor, wobei er hoffte, dass die Antwort all seine Probleme klärte.
»Bin ich am Ende meines Weges angelangt, Nadine?«
Sie nickte ernst. »Ja, das bist du. Deine
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