1143 - Grabmal des Grauens
war nicht abgeschlossen gewesen. Nach einer halben Drehung schon öffnete sich die Tür. Das sah Marion als kein gutes Omen an. Hätte ihr Freund das Haus verlassen, dann hätte er auch die Tür hinter sich abgeschlossen.
Nur keine Hektik verbreiten. Immer ruhig sein, auf keinen Fall durchdrehen.
Sie drückte die Tür nach innen. Alles hier war ihr so vertraut. Ihr Freund hatte das Haus umbauen lassen und es durch einen Gang praktisch in der Mitte geteilt. Am Ende des Flurs befand sich der Zugang zum Anbau, in dem Dario sein Atelier eingerichtet hatte.
Es war ein Glasbau, und man konnte ihn durchaus mit einem Wintergarten vergleichen.
Hinter ihr fiel die Haustür zu. Der Wind hatte sie ins Schloss gedrückt.
Es war still.
Plötzlich hasste Marion die Stille. Sie kam ihr auch anders vor als in ihrer eigenen Wohnung. Diese hier war bedrückender, als wollte sie etwas verbergen.
Die Frau hatte vorgehabt, den Namen ihres Freundes zu rufen. Aber sie hatte das Gefühl, einen Kloß in der Kehle zu haben, und so brachte sie keinen Laut hervor.
Die Tür zum Wintergarten stand auf, und so konnte Marion den totenstillen Wintergarten betreten, in dem es keine Lichtquelle gab. Wer sich zum erstenmal hier aufhielt, der musste einfach den Eindruck bekommen, im Freien zu stehen. Obwohl das Glas dick und einbruchshemmend war, hörte sie das Aufschlagen der Regentropfen wie das ferne Trommeln irgendwelcher Riesenherzen.
Es roch nach Stein und Staub, und die Arbeiten ihres Freundes fielen ihr ins Auge. Er war ein Meister seines Fachs. Sein Ruf hatte sich herumgesprochen. Aus fast allen Teilen des Landes erreichten ihn die Aufträge. Seine letzten beiden Werke waren fertig und noch nicht abgeholt worden. Zwei Figuren, die sich gegenüberstanden und sich einander zuneigten, wobei sie sich die Hände entgegenstreckten.
Dahinter sah sie einen noch unfertigen Stein. Er war als Block geliefert und hingestellt worden. Der mächtige Holzbohlentisch, die Werkzeuge, die Sägen, die Meißel, die Hämmer, alles war vorhanden, nur eben der Künstler selbst nicht.
Sie ging weiter und passierte die beiden bereits fertigen Figuren. Es waren Frauen, aber es konnten auch Engel sein, die Gräber schmücken sollten.
Neben einem Glastisch mit krummen Eisenfüßen blieb Marion Hopper stehen. Auf dem Tisch stand eine Lampe. Ein schmales Kabel führte wie eine dünne Schlange von ihr aus bis zu einer Steckdose hin. Die Lampe hatte Dario ebenfalls hergestellt. In einer flachen Schale befand sich die Fassung für die Birne.
Sie machte Licht.
Nicht nur in ihrer Umgebung wurde es hell, der Schein breitete sich auch aus bis zu dem verhängten, noch unfertigen Gebilde. Jetzt erst sah sie, dass es nicht das einzige Werk war, das ihr Freund mit einem hellen Tuch bedeckt hatte. Es gab noch zwei andere, die etwas versetzt dahinter standen.
Verhängt.
Helle Tücher, die bis zum Boden reichten. Die Verhüllung war nichts Besonderes, denn so etwas tat Dario häufig.
Doch ein Tuch war nicht mehr völlig weiß. Es zeigte an verschiedenen Stellen dunkle Flecken, als wäre es dort von einer schmutzigen Hand berührt worden.
Das konnte sich Marion seltsamerweise nicht vorstellen. Es konnte auch andere Gründe geben…
Vor dem befleckten Tuch blieb Marion stehen. Sie fasste die Stelle an.
Sie war feucht.
Dann schaute sie auf ihre Handfläche.
Sie war rot!
Mit beiden Händen packte sie die Decke und zerrte sie zur Seite. Was sie zu Gesicht bekam, war grauenhaft.
Der Tote stand. Er lehnte an einem Holzgestell. Sie konnte die Wunden nicht zählen, die ihm beigebracht worden waren, trotzdem erkannte Marion noch, wer er war. Dario, ihr Freund!
***
Ich war an diesem Morgen erst gar nicht ins Büro gefahren, sondern bis zur nächsten U-Bahn-Station gelaufen. Damit kam ich schneller ans Ziel, wo Bill mich erwartete. Er wollte mir ein Stück entgegenkommen und mich in einer Station südlich der Themse abholen.
Natürlich hatte ich Suko über mein Vorhaben informiert. Er hatte sich auch angeboten, mich zu begleiten. Das wiederum wollte ich nicht. Es sah noch nicht unbedingt nach einem offiziellen Fall aus. Wenn Not am Mann war, würde ich ihm Bescheid geben.
Nachdem ich ausgestiegen und den Schacht verlassen hatte, fand ich auch kein besseres Wetter vor. Schon in der Nacht war Schneeregen gefallen. Der hatte sich zwar nicht bis zum Morgen gehalten, aber wärmer war es auch nicht geworden. Kalter Wind pfiff mir ins Gesicht.
Ich war froh, einen Schal um den
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