1143 - Grabmal des Grauens
Handy wieder weg. »Im Gegensatz zu mir kennst du ihn. Kannst du mir verraten, was uns dort möglicherweise erwartet?«
»Kann sein, dass du enttäuscht bist.«
»Warum?«
»Weil der Friedhof so normal ist. Bis eben auf das Grabmal des Grauens. So habe ich es mittlerweile eingestuft. Es ist völlig aus dem Rahmen. Mir will jetzt noch nicht in den Kopf, dass es tatsächlich dieses Ding gibt.«
»Wie bist du darauf gekommen?«
Er musste lachen. »Ganz einfach. Durch den Auftrag eben. Ich habe nicht alle Friedhöfe abgegrast. Ich besorgte mir zunächst Literatur. Die gibt es tatsächlich. In alten oder älteren Büchern war aufgeführt, welche besonderen Grabmale auf den verschiedenen Friedhöfen stehen. Man führt sogar Besichtigungstouren durch und wird von einem Grabmal zum anderen geführt. Aber alles nur Stätten, die aus der Reihe fallen. Da erlebst du die verrücktesten Dinge. Figuren, die Totenschädel statt normaler Köpfe haben. Dann regelrechte Monstren. Gestalten mit dämonischen Gesichtern. Aber auch gewaltigen Kitsch. Grabmale, die mit Bildern geschmückt wurden. Na ja, du wirst es erleben.«
Durch die Unterhaltung hatten wir beinahe vergessen, wie nahe wir dem Ziel schon gekommen waren. Wir fuhren außerhalb Londons, das heißt, diese Orte zählten noch zum Großraum Londons, aber sie waren noch nicht so zugebaut, so dass es noch freie Sicht gab.
Der kleine Friedhof gehörte zu zwei Orten, wie Bill mir erklärte. Er lag ungefähr in der Mitte. In seiner Umgebung reckte sich kein Kirchturm in die Höhe. Verschiedene Wege führten auf ihn zu. Über einen davon rollten wir auf die Mauer zu, die aus grauen Steinen errichtet war. Auch hier hatten sich sogenannte Künstler ausgetobt und es nicht versäumt, die Mauern zu besprayen. Totenschädel in allen möglichen Farben, die einfach auffallen mussten.
Bill sah meinen schiefen Blick, als er anhielt. »Was willst du machen? Die Welt ist nun mal so.«
»Nichts gegen Künstler. Aber auf diese hier kann ich verzichten. Besonders an einem Ort wie diesem.«
Wir stiegen aus und ließen uns den kalten Wind um die Nasen wehen.
Um diese Zeit würde kaum jemand den einsamen Flecken Erde hier besuchen. Das Eingangstor lag nur wenige Schritte von uns entfernt und stand offen. Es war alt und verrostet.
Ein breiter Weg führte auf das Gelände. Vom Eingang links lag die Trauerhalle. Daneben, wie eine Hütte aussehend, das Haus, in dem die Toten aufgebahrt wurden. Eine Beerdigung war für heute nicht angesetzt. Von Bill wusste ich, daß der Friedhof noch als solcher benutzt wurde und nicht als Park für Spaziergänger.
Wir schrieben Januar. Das Wetter jedoch glich mehr dem April.
Wolken, Sonne, in der Ferne Blitze aus einer mächtigen dunklen Wand und vielleicht auch Schnee.
Bill hatte mich eingeholt und deutete nach vorn. »Wir müssen den Weg ganz durch bis zum anderen Ende. Dort stehen die Grüften.«
Wir waren wirklich allein. Ich sah die Gräber, ich sah Steine und Kreuze, aber nichts fiel großartig aus dem Rahmen.
Ein altes Wasserbecken war übergelaufen. Laub klebte auf den steinernen Bänken daneben. Außer uns bewegte sich niemand durch das Gelände. Meine Gedanken drehten sich auch um den Mord an Dario La Monte. Warum hatte man ihn getötet? War es eine späte Rache gewesen? Das musste wohl so sein. Dass er und die Nichte des Amokläufers verbandelt gewesen waren, hatte ich auch nicht gewusst.
Allmählich festigte sich in mir die Überzeugung, dass diese Familienrache noch nicht beendet war. Es wurde aus dem Jenseits noch einmal zugeschlagen.
Bill blieb stehen und deutete nach rechts und links. »So, hier ist der Weg.«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Es war der Ort auf dem Friedhof, wo eine Gruft neben der anderen stand. Wie ich sehen konnte, waren die Gräber recht normal, abgesehen von ihrer Größe. Da standen Steine, da hoben sich Figuren ab. Sie alle jedoch passten in die Landschaft hinein.
Es gab nichts besonders Auffälliges. Manche waren sehr gepflegt, andere wiederum hätten mal gesäubert werden müssen.
Bill ging nicht mehr so forsch. Ich blieb hinter ihm, und mir fiel seine angespannte Haltung auf. Er blickte sich dauernd um, wie jemand, der jeden Augenblick einen Angriff erwartet. Niemand wartete auf uns.
Weder jemand aus der normalen, noch jemand aus der unnormalen Welt.
Ich konnte schon die seitliche Mauer sehen, und genau in diese Richtung wies der Reporter. »Das Grabmal steht genau in der Ecke«, sagte er. »Komm, es sind
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