1143 - Grabmal des Grauens
Monte.
Es war ein Omen. Das Beil und das Blut. Dario hatte sich nicht gemeldet. Bisher hatte sie angenommen, dass er nicht in seinem kleinen Haus war. Nun änderte sich der Gedankengang. Er war möglicherweise noch da, aber er lebte nicht mehr.
Jemand war mit dem Beil gekommen. Einer, der so mordete, wie es ihr Onkel Gerald damals vor zehn Jahren getan hatte. Ein Nachahmer, der auch den Rest der Familie auslöschen wollte.
Der Gedanke daran ließ sie fast verrückt werden. Sie schüttelte sich, sie zitterte so stark, dass aus dem Glas die Flüssigkeit schwappte und klebrig über die Hand floss. Das war ihr alles egal. Es war unwichtig.
Einzig und allein zählte für sie dieses Schattenbeil, das ihr jetzt noch größer vorkam als im Bad.
Zuerst hatte sie gedacht, dass sich das Beil bewegen und auf sie zuschweben würde, zum Schlag erhoben, aber das geschah nicht. Und so konnte sich Marion allmählich daran gewöhnen. Nicht dass sie die Anwesenheit des Beils weniger schlimm fand, aber sie war eine Frau, die sich nicht nur zurück in die Defensive drängen ließ. Sie war es gewohnt, sich durchzusetzen, und dabei mussten auch manche Hindernisse überwunden werden.
So sah es hier auch aus.
Sie wollte etwas Bestimmtes erfahren, und das konnte sie nicht aus der Distanz. Deshalb überwand sie sich und ging mit langsamen Schritten auf den geisterhaften Gegenstand zu. Zwar berührten die Füße den Boden, trotzdem hatte sie den Eindruck, ein wenig über ihn hinwegzuschweben.
Ich muss mich stellen. Ich darf mich nicht hängen lassen. Wenn etwas vorhanden ist, muss ich der Gefahr einfach ins Auge sehen. Es gibt für mich kein Zurück. Wenn ich anders denke, dann bin ich es nicht wert, an der Spitze zu stehen. Ich muss Vorbild sein. Ich muss die anderen anfeuern, ich muss es…
Es waren Begriffe wie in einem Trainings-Seminar für Manager, aber sie hielt durch. Und so kam sie immer näher an den schräg im Zimmer stehenden Schatten heran.
Dabei fiel ihr noch ein Phänomen auf. Das Beil hätte an Intensität oder Dichte zunehmen müssen. Sie war auch darauf gefaßt gewesen, es anzufassen, aber nichts davon passierte. Sie schüttelte den Kopf - und blieb plötzlich stehen.
Etwas hatte sie irritiert.
Noch immer befand sie sich in der gleichen Wohnung. Die eigenen vier Wände waren ihr so vertraut, aber jetzt war alles anders geworden.
In der Umgebung des Schattenbeils hatte es eine Veränderung gegeben.
Nicht äußerlich, da war alles gleich geblieben. Dennoch war etwas anders geworden, und das hing mit der Temperatur zusammen, die seltsamerweise gefallen war.
Es war nicht nur kälter geworden, sondern schon eisig. Ja, wie in einem Eiskeller. Als hätte sich um das Beil herum eine unsichtbare Wand aus Eis aufgebaut.
Marion ging nicht mehr weiter. Fremde Hände hatten sich in ihren Magen gebohrt und bewegten sich dort. Es war so verdammt kalt, und zögernd streckte die Frau ihre rechte Hand aus, um mit den Fingerspitzen in den unsichtbaren Ring aus Eis hineinzufassen. Ja, da war etwas.
Wie Trockeneis, gegen das sie gefasst hatte.
Kein Widerstand. Sie konnte das Beil anfassen, aber zugleich auch hindurchfassen.
Es war da und doch nicht da!
Sie wusste nicht, was sie denken sollte. Alles war so fremd geworden.
Die eigene Wohnung glich einem Käfig, in dem sich die Gefahr verdichtet hatte.
Da war nicht alles. Es gab nicht nur das Beil, es war auch die Stimme da, die durch die Wohnung glitt. Sie konnte keinem Menschen gehören, obwohl es ein Mensch war, der mit ihr sprach, den sie aber nicht zu Gesicht bekam.
Marion war nicht in der Lage, ein Wort zu verstehen. Zu dünn war das Flüstern und etwas lauter das geheimnisvolle Lachen, dem sie nicht entkommen konnte.
Und dann verstand sie doch etwas. Immer wieder den gleichen Satz:
»Ich hole dich… ich hole dich… ich hole dich…«
Sie war nach wie vor allein. So heftig sie auch den Kopf bewegte, niemand war zu sehen.
Die Stimme versickerte. Letzte Worte wurden wie von der Luft einfach geschluckt.
Dann war es still.
Es gab nichts Fremdes mehr in ihrer Wohnung. Weder die Stimme noch die Schattenaxt.
Marion Hopper war wieder allein und fühlte sich auch so. Was sie allerdings noch mehr fühlte und was ihr große Probleme bereitete, war die Angst, verknüpft mit dem Wissen, dass etwas Schreckliches geschehen war…
***
Es war schon fast Mitternacht, als Marion Hopper das Haus verließ.
Sie hatte es einfach nicht mehr ausgehalten.
Es hing weniger mit ihr
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