1144 - Der Rächer aus dem Morgenland
Wieder hörte er das leicht knirschende Geräusch, doch da brach nichts auseinander. Die alten Scharniere funktionierten noch.
Die Eisenhand glitt immer weiter hoch, und die gekrümmten Finger näherten sich dem Kopf. Das Schwert ließ er stecken. Der Ritter hatte etwas anderes vor und zögerte keine Sekunde länger.
Er hob das Visier an. Er zeigte sein Gesicht - und Tommy traute seinen Augen nicht.
Nein, das war absoluter Wahnsinn! Einfach grauenhaft. Es gab ein Gesicht. Es hatte jedoch nichts mit dem eines Menschen zu tun. Was in der Lücke mit den roten Glutaugen schimmerte, war eine widerliche Knochenfratze.
Sie schien sogar von innen erleuchtet zu sein, weil das Gebein gelblich schimmerte. Ein offenes Maul, ein Loch, wo bei einem Menschen normalerweise die Nase sitzt, und nur in den Augen entdeckte er das Leuchten. Es bestand nicht nur aus Rot. Dahinter sah er auch noch ein helles Weiß, das ihm seltsamerweise wie Pudding vorkam. Es gab kein Licht in der Umgebung des Schädels.
Dennoch sah er das Gesicht überdeutlich. Es war wie von innen beleuchtet. Eine bösartige Gestalt.
Ein Ritter wie er nicht sein sollte und auch nicht sein konnte.
Und trotzdem war er da!
Tommy kam sich wie eingefroren vor. Er dachte auch nicht mehr an Peggy Shaw. Jetzt existierte nur der Ritter, der eigentlich hätte tot sein müssen, es aber nicht war.
Die Gestalt lebte!
Diese Erkenntnis drang in seinen Kopf ein wie der Stich einer Lanze. Sie lebte. Sie war da. Sie hatte sich bewegt, obwohl sie tot sein musste, und sie bewegte auch jetzt ihren rechten Arm. Das Visier blieb oben, denn der Ritter wollte sehen können, was er tat.
Er zog sein Schwert!
Ein schabendes Geräusch, verbunden mit einem unangenehmen Kratzen entstand, als die Waffe aus der Scheide hervorglitt. Tommy sah ein Schwert mit recht breiter Klinge, und auch das Metall sonderte seinen Glanz ab, der Tommy an den eines beschlagenen Spiegels erinnerte.
Wer ein Schwert zieht, will damit töten oder kämpfen, schoss es Tommy durch den Kopf. Er muss es tun. Er hat seinen Gegner oder Feind erkannt.
Und das bin ich! dachte Tommy. Ich muss fliehen!
Nach vorn konnte er nicht laufen. Er musste zurück.. Das war die einzige Möglichkeit, denn vor ihm stand der verdammte Ritter.
Der bewegte sich jetzt.
Er ging.
Er hob seinen rechten Arm an, und das Schwert glitt ebenfalls in die Höhe. Wer so etwas tat, der zeigte damit, dass er angreifen wollte.
Sein Ziel war Tommy!
Die folgenden Sekunden liefen schrecklich langsam für Tommy ab.
Die Gestalt kam.
Ein langer Schritt nach vorn. Der Ritter hielt seine Waffe nicht über den Kopf, um zuzuschlagen, sondern mehr wie eine Lanze, und die Spitze wies dabei auf den Jungen.
Tommy sprang zurück.
Er prallte hart mit dem Rücken gegen ein Hindernis!
Tommy schrie leise auf. Etwas Dickes bohrte sich in sein Kreuz. Er war mit dem Rücken gegen einen Baumstamm geprallt. Ein vorstehender kurzer Ast hatte ihn zusätzlich getroffen.
Tränen schossen ihm in die Augen, und sie verschleierten seinen Blick noch stärker.
Dennoch sah er die Reaktion des Ritters. Die Gestalt hatte den Arm etwa bis in Schulterhöhe angehoben, und jetzt benutzte sie das Schwert tatsächlich wie eine Lanze.
Das Skelett in der Rüstung schleuderte die Waffe kunstvoll auf Tommy Holland zu.
Ducken, weglaufen, sich zur Seite werfen. Tommy dachte in diesen Augenblicken klar, aber es war zu spät. Er schaffte es nicht mehr, die Theorie in die Praxis umzusetzen, denn das verdammte Schwert war einfach schneller.
Die Spitze bohrte sich in Tommys Brust.
Ein gewaltiger Schmerz tobte für einen Moment durch seinen Körper. Er sah den Ritter noch riesengroß vor sich, dann packten die Schatten des Todes brutal zu und zerrten ihn hinein in die Welt ohne Wiederkehr.
Er fiel nicht hin.
Die Waffe war durch seinen Körper gedrungen und hatte ihn gegen den Baumstamm genagelt…
***
Irgendwann war Peggy Shaw nicht mehr weitergelaufen. Ihr war klar geworden, dass sie sich wie eine dumme Pute benommen hatte. Sie war einfach ziellos in den Wald hineingerannt, ohne darüber nachzudenken, was sie nun richtig machte.
Irgendwann blieb sie stehen. Ihr Atem ging schwer, und sie beugte sich nach vorn, um Luft zu holen. Ihr schwindelte. Der Boden hatte sich in ein welliges Meer verwandelt, das auf und ab zu wogen schien. Erst nach Minuten hatte sie sich wieder gefangen.
Peggy hob den Kopf.
Vor ihr zeichnete sich ein graues Band ab. Es war die Straße, und jetzt merkte sie,
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