1148 - Der Butler
brach wie ein Felsen über ihm zusammen, der dann alles unter sich begrub.
»Was schaust du mich so an?«
Chris war es gar nicht bewusst gewesen. Er suchte nach Worten. »Das ist nicht möglich, nein, daran kann ich nicht glauben. Mein Großvater lebt nicht mehr.«
»Bist du sicher?«
Aus Chris' Mund drang ein gequälter Laut. »Das kann doch nicht sein, verflucht!«
»Doch, Junge. Diese Welt ist nicht so, wie du sie siehst. Ich habe dir jetzt genug erklärt. Alles andere wirst du tun und auch entsprechend erleben.«
Chris war noch immer durcheinander. »Wie meinst du das? Was soll ich denn tun?«
»Sag ihm guten Tag.«
»Bitte?« Plötzlich war Chris wie vom Blitz getroffen. Er starrte auf den Butler, der alles zu beherrschen schien.
»Du hast richtig gehört. Du sollst deinen Großvater begrüßen. Er wird glücklich sein, wenn er die Stimme seines Lieblingsenkels hört. Wenn du dich weigerst, lernst du mich von einer Seite kennen, wie es schon dein Freund erlebt hat.«
Die Drohung war nicht zu überhören.
»Und was soll ich meinem Großvater sagen, der tot ist?« flüsterte Chris.
»Erzähle ihm, dass du dich darüber freust, ihn endlich besuchen zu können. Und entschuldige dich dafür, dass es so lange gedauert hat. Die Worte werde ich dir nicht in den Mund legen, die musst du schon selbst wissen.«
»Ja«, sagte er, »ja, ich habe verstanden. Ich… ich… tue es auch, das verspreche ich.«
»Gut. Überlege. Denk immer daran, dass dein Großvater dich liebt. Er wird deine Entschuldigung bestimmt annehmen. Davon gehe ich einfach aus. Ja, da bin ich mir bei diesem noblen Mann sicher.«
Chris packte es nicht. Da gab es tatsächlich jemand neben ihm, der mit einem Toten oder über einen Toten sprach, als würde dieser noch leben. Das war einfach nicht wahr. Da konnte er nicht mithalten. Da wurde man einfach nur verrückt. Er wollte es nicht, und Chris dachte plötzlich an Flucht.
Er nickte, nur um Edward in Sicherheit zu wiegen. Dann bewegte er sich blitzschnell. Er rammte den Ellbogen nach rechts, um den Butler zu treffen. Er sollte aus dem Gleichgewicht kommen und neben das Grab fallen.
Chris spürte den Schmerz im Arm. Er zuckte hoch wie eine Glutwelle. Getroffen hatte er, aber er hatte keinen Menschen erwischt. Keinen normalen Körper. Dieser hier war hart, und der Butler stand auf dem Fleck wie ein Fels in der Brandung.
Das wurde Chris deutlich, als er weglief. Er hatte sich in den letzten Sekunden so viel vorgenommen, er lief auch. Es war ihm egal, ob er sich in das Unbekannte stürzte oder nicht.
Hinter sich hörte er das Lachen.
Er schlug einen Haken. Vor ihm tauchte die Rückseite eines Grabsteins auf. Viel zu schnell, als dass er noch hätte ausweichen können. Es gelang ihm nur, die Arme nach vorn zu strecken und sich gerade noch abzustützen. Dadurch verlor er wertvolle Zeit, und als er sich umdrehte, war der Schatten bei ihm.
Nein, eine Gestalt.
Der Butler lächelte, bevor er zuschlug.
Es war ein Treffer mit der flachen Hand. Die Wucht schleuderte Chris bis auf das fremde Grab. Er fiel weich, das war sein Glück, aber seine rechte Wange brannte wie unter einem Feuerstrahl.
Er hörte sich jammern, und dann fiel der Schatten des Butlers über ihn. Chris wusste, dass er keine Chance mehr hatte. Als die Gestalt sich bückte und er die von einem Messer durchstoßene Hand des Butlers sah, zog er sich zusammen wie ein Embryo im Mutterleib.
Die Hand griff zu.
Locker und leicht wurde Chris in die Höhe gezogen. Als hätte er überhaupt kein Gewicht. Jetzt wurde ihm deutlich gemacht, welch eine Kraft in diesem Körper steckte.
Plötzlich schwebte er über dem Boden. Das Gesicht des Butlers sah er dicht vor sich, und auch jetzt hatte es seinen arroganten Zug behalten. »Das wirst du nie mehr tun, mein Junge. Normalerweise hätte ich dich getötet, doch ich weiß, wie sehr dich dein Großvater liebt. Ihm möchte ich dies nicht antun. Du kannst dich gleich bei ihm dafür bedanken, dass du noch lebst.«
Chris wurde durchgeschüttelt. Er wollte etwas tun, protestieren zumindest, doch es blieb beim Vorsatz. Der Blick in die Augen des Butlers erstickte jeden Widerstand im Keim.
Edward stellte ihn wieder hin. Er drückte ihn noch tief gegen die weiche Graberde, so dass er mit seinen Schuhen leicht einsank. »Du wirst jetzt zu deinem Großvater gehen und ihn um Verzeihung bitten. Hast du mich verstanden?«
»Ja, ja, ich tue es.«
»Dann los.«
Edward blieb in der Nähe des jungen Mannes,
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