1149 - Begraben, aber nicht vergessen
holte das Kreuz. Als ich es auf den Tisch legte, erschrak Kuzow, und er presste sofort seine Hand darauf.
»Was willst du damit?«
»Frag ihn mal, woher er es bekommen hat.«
»Was ergibt das für einen Sinn?«
»Kann ich noch nicht sagen.«
»Wie du willst.«
Karina sprach wieder mit Kuzow, der seine Hand nicht von seinem Kreuz wegzog. Er beschützte es wie ein wertvolles Erbstück, und mit seiner Antwort ließ er sich ebenfalls Zeit. Er sprach leise und ließ Karina dabei nicht aus dem Blick.
»Was hat er gesagt?«, fragte ich, als seine Worte verklungen waren.
»Nicht viel.«
»Aber das Kreuz…«
»Ja, ja, das hat er schon erwähnt. Er hat es geschenkt bekommen, das ist alles.«
»Von wem?«
Karina legte ihre Stirn in Falten. »Genau das wollte er nicht sagen.«
»Nicht sagen, nicht sagen.« Ich verdrehte die Augen. »Es ist wichtig. Frag noch mal.«
»Reg dich nicht auf, John. Du weißt, was er hinter sich hat. Wir müssen etwas behutsamer sein.«
»Klar. Aber es geht hier auch um lebende Leichen.« Ich senkte den Blick. »Wieder einmal«, murmelte ich. In der letzten Zeit häuften sich die Zombie-Fälle. Sie waren wie eine Pest über mich gekommen. Zuerst diese Zombies 2000, dann die Sache mit dem Butler, und jetzt, hier im tiefsten Russland hatte ich es wieder mit lebenden Leichen zu tun bekommen. Dabei hatte ich gedacht, dass ihre Zeit vorbei wäre.
Karina Grischin redete wieder mit ihrem Landsmann. Er schaute sie ziemlich mürrisch an, schüttelte auch den Kopf und gab sich störrisch, aber Karina ließ nicht nach. Wahrscheinlich machte sie ihm klar, dass sehr viel von seiner Antwort abhing.
Schließlich sagte er auch etwas. Er stieß die Worte hervor, als wäre er froh, sie endlich loszuwerden.
»Was ist?« fragte ich sofort.
»Karel hat es zugegeben. Das Kreuz hat er aus dem Kloster. Ein Mönch hat es ihm aus Dankbarkeit geschenkt.«
»Alle Achtung. Was war der Grund?«
»Karel hat ihm das Leben gerettet. Draußen auf dem See. Der Mönch wäre sonst ertrunken. Sein Boot sank. Karel hat ihn dann zum Kloster gebracht. Als Dank bekam er das Kreuz.«
»Das sehr wertvoll ist?«
»Bitte, John, es stammt aus einem Kloster. Ich denke nicht, dass die Mönche dort Plunder aufbewahren. Was hältst du überhaupt davon?«
Ich hob die Arme und ließ sie wieder sinken. »Wenn du das Kreuz meinst, dann muss ich dir sagen, dass es geweiht ist.«
»Geweihtes Silber? Wie bei deinem?«
»Keine Ahnung. Es kann auch eine andere Weihe haben. Jedenfalls ist es interessant, und ebenso sind die Mönche für mich interessant. Aber wichtiger ist jetzt etwas anderes«, erklärte ich meiner Partnerin.
»Ach. Und was?«
»Dass wir ein Boot bekommen, um auf den See hinausfahren zu können.«
Sie lächelte plötzlich, als wäre das ein Spaß. Ich wollte sie schon fragen, was so lustig an meiner Bemerkung war, da gab sie mir die Antwort. »Auf ein Motorboot brauchst du dich erst gar nicht einzustellen. Wenn du auf den See willst, musst du rudern oder segeln. Kannst du es?«
»Zumindest rudern.«
»Wir können Karel mitnehmen. Er ist Fischer. Ich nehme an, dass er auch segeln kann.«
»Ja, können wir.«
»Hört sich an wie ein Abschluss.«
Ich winkte ab. »Nur ein vorläufiger. Wir haben jetzt so oft über den See gesprochen, ich bin wirklich scharf darauf, ihn mal aus der Nähe zu sehen.«
»Jetzt?«
»Klar. Und zwar auch die Stelle, wo die Leichen ans Ufer geschwemmt werden.«
»Ah ja, ich verstehe«, sagte Karina. »Du hoffst, dass auch dir die Toten vor die Füße gespült werden.«
»Wenn schon, dann die Untoten.«
»Sei nicht so pingelig.« Karina sprach Karel wieder an. Der hörte zu und schüttelte den Kopf.
»Du hast es erlebt, John, er will nicht mit.«
»Dann soll er mir den Weg beschreiben.«
»Dir?« Karina lachte. »Nein, er wird ihn uns beschreiben, denn ich lasse dich nicht allein ziehen.«
»Etwas anderes hätte ich auch nicht angenommen, Karina.«
***
Wir hatten unsere Jacken wieder übergestreift, und das war gut so, denn der Wind war stärker geworden und blies scharf gegen unsere Körper.
Karina hatte sich den Weg noch einmal beschreiben lassen. Wir mussten einfach nur parallel zum Ufer laufen und dort ans Wasser gehen, wo das Gelände flacher wurde.
Kuzow hatte nicht mitgehen wollen. Er wollte in seinem Haus bleiben und einfach nur warten. Er hasste es, jetzt wieder auf den See zu starren und auf die Zombies zu warten. Die Vorgänge dieser Nacht hatten ihn erschüttert.
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