1149 - Begraben, aber nicht vergessen
Beinahe hätte er durch diesen Untoten sein Leben verloren.
Als wir gingen, knirschte der Schnee unter unseren Sohlen. Wir hörten auch das Wasser. In Wellen schlug es immer wieder gegen das Ufer. Allerdings waren die Geräusche sehr leise.
Vor unseren Lippen dampfte der Atem. Wir hatten die Hände tief in den Taschen vergraben, sprachen zunächst nichts und ließen die stille Landschaft auf uns einwirken.
»Eine schöne Nacht, nicht wahr?«
Ich wunderte mich über Karinas Worte. »Wie kommst du darauf?«
»Ach, nur so.« Sie schaute nach vorn und deutete auch dorthin. »Das ist mein Land. Das ist meine Welt. Ich habe es schon immer gemocht, durch die kalte Winternacht zu gehen. Schon als Kind. Und auf dem Land war es immer besonders schön. Ich sage dir, John, nirgendwo erlebt man den Tag und auch die Nacht so intensiv wie auf dem Land. Du brauchst dich nur deinen Gefühlen hinzugeben.«
»Stimmt.«
Sie knuffte mich in die Seite. »Sagst du das nur so? Oder ist das auch deine Meinung?«
»Ich empfinde ähnlich wie du. Nur kann ich meine Gedanken nicht ganz befreien, weil ich immer wieder an die lebenden Leichen denken muss. So romantisch diese Umgebung auch sein mag, Karina, aber es gibt etwas, das sich darunter verbirgt. Die Dunkelheit ist zugleich Tünche. Da kann plötzlich etwas hervorkommen.«
»Glaubst du denn daran, dass der See uns Zombies vor die Füße spült?«
»Keine Ahnung.«
»Wäre nicht schlecht.«
Ich lachte leise. »Dann ist es vorbei mit der Romantik.«
»Das ist wahr.« Sie räusperte sich. »Lass uns schneller gehen, sonst pappen wir hier noch fest.«
Karina hatte Recht. Wir beschleunigten unsere Schritte. Den See ließen wir nicht aus den Augen und besonders nicht das Ufer. An einer bestimmten Stelle würden wir warten. Kuzow hatte von einer Kiste gesprochen, die dort stand. Für ihn war sie immer der Sitzplatz.
Karina sah den Platz, an dem Kuzow auf die Toten gewartet hatte, als Erste und mit wenigen Schritten hatten wir die Kiste erreicht.
Der Schnee war hier nicht mehr zu sehen. Wenn die Wellen weiter auf das Ufer flossen, hatten sie ihn weggeholt. Aber der Frost hatte selbst den Sand hart werden lassen, wo ihn das Wasser nicht erreichte.
Karina war neben der Kiste stehen geblieben und hatte einen Fuß darauf gestellt. Ihr Blick glitt über das Wasser hinweg, als wollte sie jede einzelne Welle beobachten. Sie rollten an, aber sie waren nicht wild, sondern eher sacht. Hin und wieder spritzte die schimmernde Gischt in die Höhe, so dass es aussah, als hätte jemand Glasperlen über die Kämme gestreut.
Die Sicht war klar. Das dunkle Wasser, der Glanz der Sterne, der sich auf der Oberfläche spiegelte, die Weite und das ewige Rauschen des Wassers ließ uns irgendwie allen Stress vergessen.
Karina berichtete mir, was sie von Kuzow erfahren hatte. »Sie sind einfach aus dem Wasser aufgetaucht und angerollt, John. Das musst du dir mal vorstellen. Du stehst hier, denkst an nichts Böses, und dann schleudert dir der See auf einmal Leichen vor die Füße. Das ist doch einfach der Wahnsinn!« Sie zog die Nase hoch und atmete scharf aus. »Ich bin nicht so lange in diesem Job wie du, John, aber manchmal frage ich mich, wie die Welt wirklich funktioniert und von wem sie regiert wird. Möglicherweise ist das, was wir sehen, alles nur Tünche. Die wahren Kräfte und Mächte sind woanders. Sie halten sich auch versteckt und kommen so leicht nicht an die Oberfläche.«
»Nur wenn sie es wollen.«
»Sehr gut, John.«
»Was meinst du damit?«
»Wenn sie es wollen. Oder wenn man ihnen einen entsprechenden Befehl dazu gibt - oder?«
»Könnte man so sehen.«
»Aha. Dann könnte man auch hier davon ausgehen, dass eine Macht hinter den lebenden Leichen steckt.«
»Bestimmt!«
Sie warf mir einen schrägen Blick zu. »Soll ich dich jetzt fragen, welche es ist?«
»Nein, lieber nicht. Ich könnte dir keine Antwort geben. Ich weiß auch nicht, warum die Leichen aus der Tiefe hervorgeholt und ans Ufer gespült werden.«
Karina trat gegen einen Stein. Er rollte ins Wasser hinein. »Frag lieber, wie es möglich ist, dass sie überhaupt dort hineingekommen sind. Das ist für mich ein viel größeres Problem. Sind es Menschen, die ertranken?«
»Keine Ahnung. Ich bin hier nur Gast.«
»Ha, du machst es dir leicht.«
»Nein, Karina, gar nicht. Ich will dir auch den Grund sagen. Du hast mich aus London geholt, weil ihr Hinweise auf diesen Fall erhalten habt. Es war auch okay, und es stimmt
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