1152 - Prinzessin Blutleer
sie dünn. Darunter zeichneten sich die Adern wie ein feines Netzwerk ab, doch sie waren nur unwesentlich dunkler als die Haut.
Sie brauchte Blut. Sie wollte dem Körper die Energie geben, die er brauchte. Als sie sich bewegte, geriet auch die Haut in Bewegung, und jetzt erst sah Morris die feinen Falten, die sich überall auf dem Gesicht gebildet hatten. Sie zeichneten die Wangen, die Augen, auch das Kinn. Sie gehörten einfach dazu. Es war die Haut einer uralten Frau, nur eben bei einer Gestalt, die wesentlich jünger aussah.
Gunhilla senkte den Kopf. Augen wie Kugeln starrten das Opfer an. Langsam öffnete sie den Mund, und sie riss ihn dabei so weit auf wie nur eben möglich.
Ein fauliger Geruch - kein Atem - strich am Gesicht des Verletzten vorbei. Es war einfach widerlich. Morris wunderte sich darüber, dass er dies noch so deutlich spürte.
In seinen Beinen brandete der Schmerz. Erst jetzt schoss er hoch, und er hatte das Gefühl, als wäre eine Säge dabei, seine beiden Beine in zwei Hälften zu teilen. Es war grauenhaft.
Er riss den Mund auf, er musste einfach schreien, aber Gunhilla ließ es dazu nicht kommen. An den Ohren zerrte sie seinen Kopf in die Höhe, um sich selbst nicht zu tief bücken zu müssen.
Dann presste sie ihre bleichen, kalten Totenlippen auf die warmen des Mannes.
Es war der Kuss - der Kuss des Vampirs und zugleich auch ein Biss, denn mit ihren spitzen Zähnen riss sie die Unterlippe des Opfers auf, aus der das Blut strömte und in ihren Mund rann, wo es von ihr gierig geschluckt wurde.
Sie saugte sich mit ihren Lippen an den anderen fest und holte so viel Blut wie möglich hervor. Dieser erste Erfolg machte sie glücklich. Sie richtete sich wieder auf. Jetzt schaute sie über den liegenden Körper hinweg, aber die untere Gesichtshälfte sah anders aus als noch vor einer halben Minute. Sie war blutverschmiert, und die rote Flüssigkeit reichte hinab bis zu ihrem Kinn.
Dave Morris bewegte sich nicht. Die Schmerzen durchschossen nicht nur seine Beine, sie umtosten auch die Lippen, die an verschiedenen Stellen gerissen waren.
Gunhilla war nicht satt. Sie konnte einfach nicht satt sein. Dave sah es am Funkeln ihrer Augen. Obwohl ihr Mund offen stand, atmete sie nicht. Es floss ihm nur ein Keuchen entgegen, das von einer wahnwitzigen Gier erzählte, die in dieser Unperson tobte. Sie hatte erst einen kleinen Teil des Blutes getrunken, aber in diesem Reservoir befand sich mehr, viel mehr.
Morris war sich über seine Lage klar. Es wunderte ihn, dass er noch so klar denken konnte.
Er sah ihre Hände. Die langen Finger waren ebenfalls bleich. Noch immer kniete sie neben ihm, und trotz ihrer Gefährlichkeit hatte sie etwas Pittoreskes und zugleich Clownshaftes.
Sie kam ihm wie die Olympia aus Hoffmanns Erzählungen vor. Die war eine Puppe, die erst noch aufgezogen werden musste, um sich bewegen zu können.
Leider eine tödliche, denn sie würde sich mit dem einmaligen Blutgetränk nicht zufrieden geben.
Noch immer wurde er an den Ohren gehalten, und Gunhilla zog ihn noch näher zu sich heran, weil sie den entsprechenden Winkel haben wollte. Die Haut am Hals musste straff sein. Sie wollte dabei die Adern unter der Haut sehen, denn sie waren für Gunhilla der wahre Quell ihrer Blutnahrung.
Blitzschnell biss sie zu!
Dave Morris hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie es war, von einem Vampir gebissen zu werden. Er war in seinem Leben nie damit konfrontiert worden, und jetzt erlebte er es.
Es war nicht schlimm. Der Biss und damit das Eindringen der spitzen Zähne in seine Haut, waren wegen der anderen Schmerzen kaum zu spüren. Nur ein Zucken, mehr nicht.
Der weit geöffnete Mund »klebte« am Hals des Opfers fest. Sie hatte zielsicher zugebissen und haargenau den Punkt getroffen. Aus der Ader strömte das Blut. Es sprudelte als warmer Strom in ihren Mund hinein. Es war für sie Balsam. Sie liebte es. Sie hätte vor Freude schreien und jubeln können. Nach so langer Zeit war es wieder das erste frische Blut eines Menschen, das sie trank. Deshalb wollte sie diesen Genuss so lange wie möglich erleben. Kein geschenktes Blut mehr aus der Schale, das für die ersten Bewegungen gesorgt hatte. Diese herrliche Frische tat ihr gut. Erst wenn sie den letzten Tropfen geschluckt hatte, wollte sie sich um den anderen Menschen kümmern.
Nicht weit von der Treppe entfernt lag das nächste Reservoir an Blut. Auch das würde sie noch leersaugen, und damit würde ihre Kraft dann bis ins
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