1158 - Kalt wie der Tod
kurz auf die Tischplatte. »Ich denke, dass ich mich hinlegen werde, denn ich muss früh raus und zum Flughafen.«
»Wollen Sie frühstücken?«, fragte Frau Illig.
»Nein, nur nicht. Bleiben Sie ruhig liegen.«
»Glauben Sie denn, dass ich schlafen kann, nachdem, was passiert ist?«
Harry lächelte den beiden zu. »Versuchen Sie es trotzdem.« Danach verabschiedete er sich mit einem Gutenachtgruß.
Bevor Harry den Gastraum verließ, nahm er noch eine Flasche Mineralwasser mit und stieg mit etwas schwerfällig anmutenden Bewegungen die Stufen zur ersten Etage hoch.
Er fühlte sich plötzlich müde. Die Spannung war von ihm abgefallen. Sein Kopf war schwer, als hingen dicke Bleitropfen an den Gedanken, um sie unbeweglich zu machen.
Für Peters und seine Leute war der Fall vorbei. Nicht aber für Harry Stahl, und er war mehr als froh, dass sein englischer Freund John zugesagt hatte. So war er eben. Ein Mann, der seine Spontanität noch nicht verloren hatte und dabei sehr flexibel und gar nicht beamten- oder vorschriftenhaft reagierte.
Harry bog in den Flur und sah dann die Tür des Mordzimmers vor sich. Sie war nicht versiegelt. Die Leute hatten ihre Arbeit getan und den Schlüssel von außen stecken lassen.
Abgeschlossen hatten sie nicht. So drückte Harry die Klinke nach unten und warf einen Blick in das Zimmer. Er ging nicht tiefer hinein. Auf der Schwelle blieb er stehen, wobei sein Blick zum Fenster hinglitt und er scharf einatmete, denn vor seinem geistigen Auge sah er wieder die Szene, die ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre, hätte der andere es nur gewollt.
Er hatte es nicht getan, aber er hatte ihm eine Warnung zukommen lassen, und Harry fragte sich, was der Grund dafür gewesen war. Wollte die Gestalt, dass er am Leben und ihr damit auch auf den Fersen blieb?
Es gab noch viele Fragezeichen in diesem Fall. Noch jetzt spürte Harry die imaginäre Zunge, die sich lang und glatt um sein Handgelenk geschlungen hatte.
Wo, zum Teufel, stammte diese Kreatur der Finsternis nur her? Wer hatte sie geschickt? Welchen Auftrag hatte sie? Oder war sie von allein erschienen, um Kontakt mit dem Mörder aufzunehmen, was gar nicht mal so unbedingt von der Hand zu weisen war. Denn irgendwo passten beide zusammen, auch wenn einer von ihnen ein Mensch und der andere kein richtiger Mensch war, aber so aussah, weil er sein wahres Aussehen versteckte, das ihm Luzifer bei der Erschaffung in einer Zeit gegeben hatte, in der die Welt ein anderes Aussehen gehabt hatte und an Tiere und erst recht nicht an Menschen zu denken gewesen war.
Es hatte keinen Sinn, sich weiterhin darüber den Kopf zu zerbrechen. Eine Lösung würde Harry nicht finden, aber er nahm sich vor, der Kreatur auf den Fersen zu bleiben. Obwohl er keine Beweise hatte, war er davon überzeugt, dass sie sich in der Nähe aufhielt.
Während er darüber nachdachte und in sein Zimmer ging - auch hier steckte der Schlüssel von außen - fiel ihm plötzlich die Tochter der Illigs ein.
Den Grund kannte er nicht. Aber ein ungewöhnliches Gefühl der Beunruhigung blieb schon bestehen…
***
Plötzlich war da das Loch!
Nein, eigentlich kein richtiges Loch. Mehr ein kleiner, mit Wasser gefüllter Tümpel, den Maja in der Dunkelheit nicht gesehen und in ihrer Angst nicht bemerkt hatte.
Sie trat mit dem rechten Fuß zuerst hinein und hatte das Gefühl, umschlungen zu werden. Vom Knöchel hoch bis hin zum Oberschenkel kroch die Kälte. Für eine gewisse Zeitspanne kam sich die junge Frau wie erstarrt vor. Durch ihren Kopf huschten Bilder und Szenen der letzten Minuten wie aneinander gereihte Momentaufnahmen.
Eine Chance hatte sie gegen die Gestalt mit dem flachen Gesicht nie gehabt. Er hatte sie nicht mehr angefasst, er hielt sie auch nicht mit seiner Zunge umschlungen, er war nur neben ihr hergegangen und hatte sie so unter Kontrolle gehalten. Vielleicht auch durch seine Blicke, denn sie vergaß einfach nicht die flimmernden Augen. Hin und wieder hatte sich noch etwas anderes über sein Gesicht geschoben. Dieser seltsame Schatten, der eigentlich keiner war, sondern auch gewisse Umrisse besaß, die schon wie ein zweites Gesicht wirkten.
Maja war einfach weitergegangen. Ohne auch nur einen einzigen Fluchtversuch zu wagen. Über ihren Körper hatte sich eine unsichtbare Fessel gespannt, die zu lösen sie einfach nicht in der Lage war.
Sie waren relativ schnell gegangen. Und hinein in die Dunkelheit. In ein Gebiet, das Maja Illig eigentlich von Kindesbeinen
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