1158 - Kalt wie der Tod
an kannte. In diesem Fall war es für sie anders geworden. Da wirkte es wie eine fremde, böse und mit verstreckten Feinden gefüllte andere Welt, aus der es für sie keinen Ausweg gab.
Sie ging mit wie ein Automat. Sie hatte ihre eigenen Gedanken zurückgeschraubt und wollte nicht daran erinnert werden, was noch passieren konnte.
Die Welt war für sie eine andere geworden. Sehr finster, doch in der Dunkelheit lauerten zahlreiche Gefahren, die nur darauf warteten, auf sie zuspringen zu können.
Der unheimliche Fremde hatte mit ihr nicht mehr gesprochen. Er ging einfach weiter. Maja wusste, dass sie irgendwann an ein Ziel gelangen würden, doch sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo es lag. Ob in der Nähe des Dorfes oder irgendwo in der Pampa, wie die Umgebung von den jüngeren Einheimischen oft genannt wurde. Diese Welt war für sie anders geworden. Es gab kein Leben mehr. Keinen Boden, keinen Himmel. Sie kam sich vor wie eine Person, die irgendwo im Nirgendwo schwebte und einem fernen Ziel entgegenglitt.
Dann war es zu dem Fehltritt gekommen. Sie hätte eigentlich vorgewarnt sein müssen, denn der Untergrund hatte sich kurz zuvor schon verändert. Er war weicher und saugender geworden. Maja hatte ein Gebiet erreicht, das es schon immer gegeben hatte. Sie kannte es auch aus ihrer Kindheit.
Noch heute warnten die Eltern ihre Sprößlinge davor, sich allein und zu weit in das Gelände hineinzubewegen.
Die Bilder der kurz zurückliegenden Vergangenheit verschwanden. Maja war wieder in der Lage, normal zu denken und sich auf die Realitäten einzustellen.
Es hatte sie erwischt. Und nicht nur am rechten Bein, denn auch das linke war in das kalte Wasser des Tümpels nachgerutscht. Sie bekam genau mit, wie sie immer tiefer sank, als wären Arme da, die ihre Beine umschlossen.
Maja wusste nicht, wie tief dieser Tümpel war, dessen Boden einem saugenden Schwamm glich. Sie wurde von einer wahnsinnigen Angst überfallen, in dieser kalten Falle ertrinken zu müssen, und sackte wie ein lebloser Stein tiefer.
Ihr Entführer war stehen geblieben. Er drehte sich um und sah, was mit ihr passierte. Vor Maja zeichnete sich eine Gestalt ab, die sich jetzt langsam bückte, wobei sie das Gesicht zu einer leichten Grimasse verzog, den Mund aber geschlossen hielt.
Ihre Füße berührten endlich den Grund. Für einen Moment bekam sie wieder Hoffnung. Sie war jedoch schnell wieder vorbei, denn der Grund des Tümpels setzte ihr kaum Widerstand entgegen. Er war weich und auch wie eine Klammer, die zuerst die Füße und wenig später die Knöchel umfasste.
Der Boden des Tümpels war ein Sumpf. Er würde Maja hineinziehen, und sie wusste es.
In ihrer Verzweiflung streckte sie ihrem Entführer die Arme entgegen. Sie winkte ihn mit zittrigen Händen zu sich heran und öffnete ihren Mund zu einem Schrei, der sich nicht die freie Bahn brach.
Es wurde nur ein Wehlaut.
»Du bist zu unvorsichtig gewesen, meine Kleine!«, flüsterte ihr Entführer, bevor er einen Schritt auf das Tümpelloch zuging und seinen Kopf etwas nach vorn beugte, wobei er zugleich den Mund öffnete. Er war nicht weit von Maja entfernt. Trotz der Dunkelheit sah sie die Bewegungen darin, und einen Augenblick später schnellte wieder diese dünne Zungenpeitsche hervor.
Als Maja noch ein Stück in die Tiefe sackte und das Wasser schon ihre Brust erreichte, um die es einen kalten Ring schloss, da wickelten sich die feuchten Bänder zugleich um ihre Handgelenke.
Blitzschnelle Drehungen, verknotet an den Vorderseiten, straff und trotzdem weich, so bildeten sie die Fessel und zugleich auch die Rettung für sie.
Der weiche Boden des Tümpellochs griff nach ihr. Er wollte sie haben. Er umschmatzte ihre Füße, doch der Gegendruck der Zunge war einfach stärker.
Er biss in die Haut an den Gelenken. Er drehte sich um sie herum, und dann spürte Maja, wie die Kraft dieser Zunge sie allmählich in die Höhe zog und sich ihre Füße aus dem schlammigen Grund lösten.
Sie glitt durch das dunkle Wasser. Sie rutschte hoch. Ihr Herzschlag veränderte sich, irgendwie klang er befreiter. Das trübe Brackwasser hatte sie bis auf die Haut durchnässt, die Kleidung klebte an ihrem Körper, und endlich war sie in der Lage, sich am Rand abstützen zu können.
Maja kroch aus dem Tümpelloch hervor. Ihre nassen Hände rutschten über das Gras, und mit einer schwingenden Bewegung löste sich die lange Zunge von ihren Händen.
Sie peitschte vor dem Gesicht in die Höhe, bevor sie nach
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