1159 - Mörderische Nixenwelt
praktisch in der Hand des Anderen gelegen hatte. Er hätte ihn leicht umbringen können, denn Harry war bereits durch ihn außer Gefecht gesetzt worden. Aber er lebte noch, und das hatte er der hinter ihm stehenden Kreatur zu verdanken. Nur war er bestimmt nicht aus Menschenfreundlichkeit am Leben gelassen worden. Da spielten sicherlich andere Dinge eine große Rolle. Wahrscheinlich hatte das nicht in den Plan des Fremden hineingepasst. Ob das jetzt noch so war, wagte Harry zu bezweifeln.
Während dieser Gedanken suchte er nach einem Ausweg. Er war in einen Widerstreit der Gefühle hineingeraten. Das »Eis« taute in seinem Körper und schuf den Hitzewellen Platz, die ihn durchrasten.
Harry stand am unteren Ende der Treppe. Er schaute die Stufen hoch. Er hatte von oben etwas gehört. Die Treppe endete dort, wo der Speicher begann. Genau dort vermutete Harry seinen Freund John Sinclair.
Der Weg nach oben war frei. Er sah dort auch den Lichtschein, der sich allerdings nicht bewegte. Er hatte Geräusche gehört - und zuckte jetzt zusammen, als er weitere vernahm. Diesmal waren sie lauter. Ein Aufprall, vermischt mit einem leisen Schrei. Es konnte der Schrei einer Frau gewesen sein.
Eigentlich hatte Harry Stahl das Haus betreten, um seinem Freund John Sinclair zu Hilfe zu kommen. Das war nicht mehr so schnell möglich. Jetzt wies alles darauf hin, dass er selbst Hilfe brauchte. Er merkte, wie er noch immer fror, aber auch schwitzte, denn das Wechselspiel in seinem Körper hatte nicht nachgelassen.
Wie weit der Fremde von ihm wegstand, konnte er nicht sagen. Er dachte nur an dessen Gesicht, das irgendwie zweigeteilt war, übereinander geschoben, das aussah wie ein Hologramm, und er dachte natürlich an die lange Zunge, die aus dem Mund geschnellt war und sein rechtes Handgelenk umklammert hatte. So war es Harry unmöglich gewesen, seine Waffe einzusetzen.
Und jetzt?
Er trug sie bei sich.
Es war eine Walther, und ihr Magazin war mit normalen Kugeln geladen; nicht mit den geweihten aus Silber. Zwar halfen sie nicht hundertprozentig gegen die Kreaturen der Finsternis, doch Harry hätte schon auf eine gewisse Schwächung gehofft.
Was kann ich tun?
Es war die eine Frage, die ihn bewegte. Die Zeit lief normal ab, doch sie kam ihm vor, als wäre sie länger und immer länger geworden. Wie ein Band, das sich dehnte.
Er steckte nicht nur in einer Klemme, sondern in einer lebensbedrohlichen Lage. John Sinclair war bestimmt nicht weit entfernt. Über und vor ihm auf dem Speicher. Nur der Weg dorthin war für Harry weiter als der zur Sonne.
Er atmete flach. Der Druck hatte den Schweiß aus seinen Poren treten lassen. Als Tropfen lagen sie auf seinem Gesicht und fanden in kleinen Rinnsalen den Weg nach unten. Er spürte sie an den Wangen, an der Nase und auf den Lippen. Auch in den Augenwinkeln brannte der Schweiß.
Der Fremde sprach ihn an. »Warum bist du nicht verschwunden? Warum hast du den Ort nicht verlassen? Jetzt ist es zu spät. Ich habe dir eine Chance gegeben.«
Jedes Wort hatte sich für Harry angehört wie das Zischen einer Schlange.
»Ich bin besser«, fuhr der Fremde fort. »Ich passe auf. Ich habe meine Pläne. Ich bin nicht ohne Grund in diese Gegend gekommen. Ich habe mir Heiner Freese ausgesucht. Ein vierfacher Mörder ist gut. Aber du hast dafür gesorgt, dass es zu keiner Verbindung zwischen uns kam. Ich könnte dir die Wahl lassen. Entweder stellst du dich auf meine Seite oder du ziehst den Weg in den Tod vor. Wahrscheinlich nicht, aber ich…«
Er sprach noch weiter. Mit jedem Wort, das er sagte, verdichtete sich bei Harry die Gewissheit, dass er keine Chance hatte. Er würde nicht lebend wegkommen, und er konnte sich nicht auf fremde Hilfe verlassen.
Bevor ihn die Kreatur der Finsternis überhaupt anfassen konnte, handelte Harry.
Er warf sich nach vorn auf die Treppe zu. Er schrie dabei. Er zog auch seine Waffe. Er spürte, wie er auf den harten Kanten der Stufen landete, drehte sich dabei und sah die Kreatur der Finsternis jetzt vor sich. Im Bruchteil einer Sekunde nahm er das flache Gesicht wahr und dahinter etwas anderes.
Dann schoss er!
***
Der Schrei und der Schuss!
Plötzlich war die Frau für mich uninteressant geworden. Es ging um das Leben meines Freundes Harry. Aus Spaß hatte er den Schuss nicht abgegeben.
Auch die Frau hatte ihn gehört. Sie stand unbeweglich. Die Arme hatte sie halb erhoben. Das leicht glänzende Gesicht war angespannt, und das Funkeln lag noch stärker in
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