1163 - Der Blut-Galan
glaube ich Ihnen nicht so recht, Bill. Nein, Sie sind jemand, der ebenfalls Geschichten sucht. Und zwar Geschichten, die die Normalität sprengen. So etwas kann Ihnen nur gelegen kommen. Das finde ich jedenfalls.«
»Ich glaube, Sie sehen mich falsch, Judy. Ich hoffe immer auf den Weg des geringsten Widerstands. Das tut wohl fast jeder Mensch. Nur wenn sich dieser Wunsch nicht erfüllt, stelle ich mich den anderen Problemen. Dann weiche ich vor ihnen auch nicht aus.«
Judy Carver nickte. »Ja, das ist mir klar. Deshalb habe ich mich ja an Sie gewandt. Ich erinnere mich auch daran, dass ich in der Zeit als Volontärin mehrmals den Namen Ihres Freundes John Sinclair gehört habe. Dem Oberinspektor von Scotland Yard.« Sie lachte plötzlich und schüttelte dabei den Kopf. »Ich habe schon damit gerechnet, dass Sie ihn anrufen und ihn informieren würden.«
»Das werde ich wohl auch tun, wenn die Probleme zu groß werden. Zunächst habe ich nur Ihre Aussagen, auf die ich mich verlassen muss.«
»Was Ihnen nicht leicht fällt - oder?«
Bill lächelte. »Das sehe ich anders und sage nur abwarten. Irgendetwas wird sich ergeben.«
Judy senkte den Kopf. »Ich hoffe nur, dass es nicht zu schlimm wird und wir überleben.«
So pessimistisch war Bill nicht. Es lag auch daran, dass er schon einiges mehr durchgemacht hatte als Judy Carber. Solange er keinen Beweis in den Händen hielt, sah er die Dinge recht neutral.
Die Dämmerung hatte sich jetzt verabschiedet. Der Himmel zeigte sich als eine geschlossene Front, wobei manche Flecken unterschiedliche Farben aufwiesen. Besonders dort, wo der Vollmond seine bleiche Aura ausstrahlte.
Es war der kalte Wächter. Manchmal zeigte er sich konturenscharf, dann wieder leicht verdeckt, wenn der Wind eine Wolkenbank vor ihn trieb. Aber er war immer zu sehen, und das allein zählte.
Und er war der Energiespender für die Geschöpfe der Nacht, die sich oft die Herrscher der Finsternis nannten. Zu ihnen zählten die Werwölfe und auch die blutsaugenden Vampire.
Plötzlich hatten sie das erste Ziel erreicht!
Doleham - ein Ort, der eigentlich kein richtiger war, weil er sich praktisch nur an der Straße ausbreitete und nur aus wenigen Häusern bestand. Es war dunkel - klar, aber Bill hatte trotzdem den Eindruck, dass Doleham auch im Hellen nicht viel anders aussah, was wohl auch an den grauen Mauern der Steinwände lag. Die Dächer zeigten ebenfalls keine anderen Farben, und das Licht aus den Fenstern glich mehr trüben Pfützen, die den Boden kaum erreichten.
Bill war bei der Einfahrt langsamer gefahren und ging wenig später noch mehr mit dem Tempo herunter. »Soll ich mal anhalten?«, fragte er seine Begleiterin.
»Warum?«
»Wir könnten versuchen, mit jemand über Alice zu sprechen.«
Judy gab die Antwort sofort. »Nein, das ist nicht nötig, Bill. Ich will das nicht. Wir können sofort zu ihr fahren. Den Weg kenne ich ja. Außerdem hat Alice mit den Leuten hier so gut wie keinen Kontakt gepflegt. Sie wollte ja allein bleiben und hat sich in Doleham eigentlich nur blicken lassen, um Lebensmittel zu kaufen. Ansonsten konnten ihr die Leute hier gestohlen bleiben. Sie ist auch kein Typ für die Menschen in dieser Gegend. Die sind ihr zu rau. Zu direkt. Meine Schwester ist anders, introvertiert.«
»Wie Sie wollen, Judy.«
Judy Carver lächelte ein wenig verloren, bevor sie flüsterte: »Gleich wird es ernst, Bill. Wir müssen auf den Weg achten, der nach links in das Gelände hineinführt.«
»Ist es eine schwierige Strecke?«
»Nicht besonders. Man kann sie auch mit einem normalen Wagen schaffen. Der Weg ist nur nicht asphaltiert.«
Es waren kaum noch Häuser am Straßenrand zu sehen. Natürlich hatte es einige Seitenstraßen gegeben, die zu weiter entfernt stehenden Häusern führten, ansonsten gehörte Doleham zu den Kaffs, durch die man fuhr, um sie möglichst schnell wieder zu vergessen.
Nicht untypisch für ein Hochmoor, über das stets der Wind wehte und sich auf Grund des feuchten Bodens immer wieder Nebelfelder bildeten.
»Jetzt aufpassen!«
Bill war schon langsamer gefahren. Hinter ihnen erschienen zwei Scheinwerfer. Ein Auto rollte vorbei, dann betätigte Bill den Blinker und hatte im nächsten Moment das Gefühl, direkt in das Hochmoor zu fahren. Er stach hinein in die Hochebene und war von dieser kargen und rauen Natur umschlossen.
Die Landschaft hatte durch das Gesicht des Mondes und dessen Schein einen leicht gespenstischen Glanz erhalten. Das bleiche
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