1164 - Die Wolfsfrau
noch immer dicht hinter ihr. Als er sie ansprach, hatte er seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt, aber seine Worte waren gut zu verstehen.
»Ich brauche sie nicht mehr. Ich hätte sie sowieso abgeschafft. Sie ist deine Schwester. Vielleicht ist sie das auch gewesen, wer weiß das schon. Aber jetzt gehört sie dir. Verstehst du? Du kannst sie haben. Du kannst deinen Trieb befriedigen..«
Er lachte und wartete die Reaktion der Werwölfin nicht ab. Mit einer kräftigen Bewegung rammte er die Tür zu…
***
Judy Carver hatte irgendwann nichts mehr gefühlt. Sie war hineingeglitten in die Existenz der Toten, aber sie lebte trotzdem auf ihre Art und Weise.
Man hatte sie zu einer Untoten gemacht, zu einer Wiedergängerin, die nur vom Körper her noch etwas Menschliches an sich hatte. Die Seele war ihr genommen worden, denn jetzt war sie einzig und allein ein Geschöpf der Nacht.
Judy Carver tauchte aus ihrer Welt auf. Es war ähnlich wie bei einem Menschen, der in tiefe Bewusstlosigkeit gefallen war. Trotzdem war es bei ihr anders.
Es war mit keinen Schmerzen verbunden, und es gab auch keine direkte Erinnerung an die nahe Vergangenheit.
Dafür aber spürte sie etwas anderes im Innern.
Es war mehr ein Druck, der sich dann teilte, durch den gesamten Körper rann und sich dabei in ein Gefühl verwandelte, das man als Hunger und Gier zugleich bezeichnen konnte.
Sie brauchte Blut!
Mit geschlossenen Augen blieb Judy Carver liegen. Sie lauschte allein ihrem inneren Gefühl, das sich nur immer um eines drehte. Dem Drang nach dem Lebenssaft der Menschen. Allmählich wurde er unerträglich. Er peinigte sie so stark, dass sie aufstöhnte und sich unruhig auf ihrer Liegestatt von einer Seite zur anderen warf.
Sie wusste, dass sie allein war, aber für immer hätte sie diesen Zustand der Qual nicht aushalten können.
Noch auf dem Rücken liegend öffnete sie langsam den Mund. An den neuen Druck am Oberkiefer hatte sie sich zwar gewöhnt, sie wollte trotzdem genau wissen, was dort geschehen war.
Mit einem Daumen streifte sie die Oberlippe zurück, mit dem anderen fuhr sie an ihrer Zahnreihe entlang und zuckte leicht zusammen, als sie die beiden Spitzen bemerkte.
Also doch!
Das waren sie. Das waren die beiden Zähne, die ihr nach dem Biss gewachsen waren. Zähne, die sie in die Haut eines Opfers schlagen konnte, um ihre Sucht nach dem Blut zu stillen.
Es war für sie wie ein Zauber. Etwas völlig Neues hatte sie regelrecht überschwemmt. Die Veränderung war perfekt. Sie war bereit für den ersten Biss. Es musste nur noch das mit warmen Blut gefüllte Opfer in ihrer Nähe erscheinen.
Als wären ihre Gedanken von irgendeinem in der Fremde lebenden Götzen erhört worden, nahmen ihre Ohren plötzlich die Geräusche wahr, die nicht direkt in ihrer Nähe aufklangen, sondern ein kleines Stück entfernt. Aber durchaus hörbar.
Das menschliche Wahrnehmungsvermögen war ihr auch als Blutsaugerin geblieben. So war sie in der Lage, zu unterscheiden, was da auf sie zukam.
Schritte, die wenig später verstummten und von anderen Lauten abgelöst wurden. Etwas kratzte und schabte. Zähne schienen irgendwo gegen zu schleifen, und Judy Carver richtete sich auf. Sie kletterte nicht von ihrem Bett weg. Sie blieb sitzen und stützte sich dabei mit beiden Ellenbogen ab.
Etwas in ihrer Nähe änderte sich. Die Finsternis ringsum weichte allmählich auf. Ihre scharfen Augen unterschieden deutlich zwei Schatten.
Einer wurde vorgeschoben. Er blieb auf der Schwelle stehen, und wenig später fiel von der Decke her eine graue Flut nach unten. Licht aus kleinen Lampen, das einen Schleier bildete, der von Wand zu Wand reichte.
Er störte die neue Vampirin im ersten Moment. Aber sie gewöhnte sich daran und sah ihren Mentor hinter einer auf zwei Beinen stehenden Wölfin.
Kalte Augen starrten in das Verlies. Eine geöffnete Schnauze. Sie hörte ein scharfes Hecheln, aber sie erkannte auch die Unsicherheit dieser Bestie.
Es gab keine Zeit mehr. Es war plötzlich ein Vakuum zwischen zwei Monstern entstanden. Auf der einen Seite die Blutsaugerin, auf der anderen die Werwölfin.
Beide wollten nur eines - töten!
Die Gegner vernichten, sie zerstückeln, das Blut trinken…
Beau Leroi zog sich zurück. Er rammte die Tür zu und riegelte ab.
Jetzt gab es nur sie beide. Und in bei den Körpern steckte die wahnsinnige Gier nach der Vernichtung des anderen. Judy Carver wollte das Blut, und die Werwölfin wollte den Biss. In ihr steckte der Drang,
Weitere Kostenlose Bücher