1164 - Die Wolfsfrau
musste sich ein besseres Versteck suchen, und sie glaubte auch, eine Idee zu haben.
Es hatte ja nicht nur den Fremden mit der Waffe gegeben. Es war noch ein anderer Besucher gekommen. Ein Blutsauger. Ein Vampir. Ein Schwarzblütler ebenso wie sie.
Genau das war ihre Chance, einen Unterschlupf zu finden. Er würde sie aufnehmen. Vampire und Werwölfe waren seelenverwandt, wenn nicht sogar Partner auf Zeit.
Sie hatte ihn gesehen. Sie hatte seinen Geruch wahrgenommen. Er war in ihre Nase eingedrungen, und für Alice stand fest, dass sie ihn nie mehr vergessen würde.
Und er war noch da!
Sie nahm den Geruch wahr. Er schwebte in der. Luft. Sie waren sich einfach zu gleich, als dass sie ihn hätte vergessen können. Und er würde sie auch zum Ziel führen.
Die Werwölfin überquerte geduckt die Fahrbahn. Auf der anderen Seite sah es nicht anders aus.
Auch hier fand sie hinter niedrigen Büschen Schutz. Sie atmete den Geruch der feuchten Erde ein.
Sie sah hin und wieder die mit Wasser gefüllten Löcher, aus denen dichtes Wollgras wuchs, das in der Dunkelheit aussah wie kugelige Schatten. Sie lief schneller, immer am Rand der Straße entlang.
Ein Schatten mit dem Umriss einer Wölfin. Das Hecheln begleitete ihren Lauf, manchmal auch ein Knurren.
Es gab normale Wege, die durch das Hochmoor führten, aber auch hölzerne Stege, die für Wandergruppen geschaffen worden waren. Der frische Geruch des Tages hatte sich verflüchtigt. Nichts war mehr vom Sommer zu riechen. Jetzt stand die Fläche, sodass man das Gefühl haben konnte, sie würde verdauen.
Die Häuser und die von Menschenhand geschaffene Umgebung hatten sich der Gegend angepasst.
Auch hier waren die Mauern aus grauen Steinen errichtet worden. Hecken wuchsen oft in Höhen von mehreren Metern. Sie waren nicht nur Vierecke, sondern wiesen oft Lücken auf, die dann als Fenster dienten.
Niemand befand sich um diese Zeit im Freien. Nur die einsam parkenden Autos erinnerten daran, dass hier jemand wohnte.
Alice Carver konnte die Menschen riechen. Sie gaben einen bestimmten Geruch ab, den sie nur dann merkte, wenn sie ihre zweite Existenz führte.
Überall schliefen sie. Versteckt hinter Wänden und Fenstern. Da lagen sie ahnungslos in den Betten.
Alice konnte ihre Gier nicht zügeln. Sie rannte vor und warf sich gegen eine Hauswand. Es gab keinen Eingang in der Nähe. Sie konnte das Mauerwerk nicht durchbrechen, aber sie versuchte es.
Sie riss die Arme hoch. Sie kratzte mit den Krallen am Gestein von oben nach unten. Nur mühsam konnte sie das Heulen unterdrücken. Die Gier wurde immer stärker. Hätte sie irgendwo in einem Spiegel in ihr Gesicht gesehen, dann wären ihr die jetzt blutunterlaufenen Raubtieraugen aufgefallen, in denen sich all der Wahn nachzeichnete.
Fenster lockten sie. Ihre gespannten Sinne nahmen die Geräusche der Schlafenden wahr. Das Atmen, das Schnarchen. Manchmal auch Stimmen von Menschen, die im Schlaf sprachen.
Den Mann mit der Waffe hatte Alice vergessen. Die Gier schlug wie eine gewaltige Woge über sie hinweg und riss sie einfach mit.
Wild trampelte sie durch einen Vorgarten und blieb vor der Tür stehen, geduckt, die Arme halb erhoben, die Krallen griffbereit.
Die Schnauze stand offen. Kleine Schaumflocken wehten daraus hervor. Aus der Kehle drang ein Keuchen. Sie brauchte die Menschen, sie brauchte Blut. Sie wollte es spritzen sehen, wenn sie angriff und tötete.
Da erwischte sie der Bahnstrahl!
Er war nicht zu sehen. Aber er war da. Er hatte sie von hinten getroffen, und sie wusste, dass sie nicht mehr allein war. Aber hinter ihr stand kein Mensch, das war ihr auch klar.
Langsam drehte sie sich um. Der Geruch war stärker geworden. Er hatte sie getroffen, und er war anders als der eines Menschen.
Vor ihr stand der Vampir!
Er musste vom Himmel gefallen sein. Zumindest hatte sie ihn nicht gehört. Aber er war da, und er starrte sie nur an. Die Dunkelheit musste sich um seinen Körper verdichtet haben. In seiner schwarzen Kleidung fiel er nicht auf, und er war das, was er immer sein wollte: ein Geschöpf der Nacht.
Die Lust auf die Zerstörung von Leben war noch da, aber sie konzentrierte sich nicht auf ihr Gegenüber. Der Blutsauger bewegte sich in den folgenden Sekunden nicht. Erst als er sah, dass die Pranken der Wölfin nach unten sanken, nickte er ihr zu.
»Du musst mit mir kommen«, erklärte er. »In dieser Nacht wird das für dich nichts.«
Es gab keine sprechenden Werwölfe, und so musste sich Leroi auf ihre
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