1166 - Der Erschrecker
hörte ich Cathy weinen. Ihr musste erst jetzt richtig aufgegangen sein, was mit ihrem Freund geschehen war. Begreifen würde sie es nicht können. Es war nur wichtig, es zu akzeptieren.
Der Vampir ließ sich nicht aufhalten. Hank hatte die unsichtbare Peitsche bekommen. Er wollte das Blut, und er wusste, dass ihn nichts mehr davon abhalten konnte. Einer wie er verließ sich auf seine eigene Stärke.
Es war schwer für ihn, die Füße vom Boden zu heben. Bei jeder Bewegung schlurfte er darüber hinweg. Der Gang war schwankend, noch hatte er sich nicht auf seine neue Existenz einstellen können. Ich wollte auch nicht, dass er es schaffte.
Mit einer ruhigen Bewegung holte ich die Beretta hervor. Noch ehe ich auf den Blutsauger anlegen konnte, hörte ich Cathys Stimme. »Bitte, John, Sie wollen doch nicht schießen. Sie dürfen ihn nicht töten. Wir müssen es anders versuchen.«
»Würde ich gern machen, wenn es möglich wäre. Aber das ist nicht so leicht. Vergessen Sie nicht, Cathy, wer er ist. Es gibt für Vampire gewisse Regeln. Die gelten für seine Existenz ebenso wie für seine Vernichtung.«
»Das will ich nicht hören!«
»Sorry, aber es ist so!«
Ich schaute nach links. Dort sah ich Cathy Brixon stehen. Sie bewegte sich nicht und wirkte wie eine Schauspielerin, die in der Bühnengasse auf ihren Auftritt wartete.
Er würde nicht kommen. Sie würde allerdings zusehen, was mit ihrem Freund geschah, und es würde bei ihr einen weiteren Schock hinterlassen.
Nach den ersten Schritten hatte sich die schreckliche Gestalt gefangen. Sie ging jetzt leichter und zog die Füße auch nicht mehr so stark über den Boden.
»Hank, bitte…«
»Hören Sie auf, Cathy.«
»Nein, er ist…«
Ich hatte es geahnt, aber ich hatte sie auch nicht einsperren können. Cathy dachte noch zu sehr wie ein Mensch. Es war auch verständlich, allerdings konnte ich ihre Reaktion nicht nachvollziehen. Sie schlug alle Warnungen in den Wind und rannte auf Hank zu.
Ich konnte nicht mehr schießen, denn Cathy lief in die Schussbahn hinein. Ich hätte sie getroffen, leider nicht den Blutsauger, in dessen Arme sie sich hineinwarf.
Sie schrie dabei seinen Namen, umfasste ihn und hatte einen so großen Druck in diese Umarmung gelegt, dass der Blutsauger dem Ansturm nicht standhalten konnte und zu Boden fiel.
Cathy prallte auf ihn, aber sie konnte sich nicht mehr von ihm lösen, denn er umschlang sie blitzschnell mit seinen Armen und drückte sie an sich.
Das hatte mir noch gefehlt. Ich verfluchte meinen Leichtsinn, mich nicht intensiver um Cathy gekümmert zu haben, die jetzt auch merkte, was mit ihr passiert war und es trotzdem nicht glauben konnte.
»Mein Gott, Hank, was tust du? Ich bin es doch. Ich - Cathy!«
Er gab seine Antwort auf seine Weise. Ich hörte ein Röcheln, dann zuckte Cathys Kopf zur Seite, weil der Blutsauger die linke Seite frei liegen haben wollte.
Der Biss!
Ich wusste nicht, ob er es schon geschafft hatte. Jedenfalls war ich herangestürmt und erwischte den Kopf aus dem Lauf heraus mit einem mächtigen Tritt.
Das Gesicht wurde von Cathys Hals weggerissen. Wie ein Stein fiel ich auf die Knie. In der Bewegung schaute ich auf die grässlich verzerrte Fratze. Sie wurde nicht mehr angeleuchtet und sah in der Dunkelheit aus wie ein blasses, unmenschliches Gebilde.
Aber sie war auch ein Ziel.
Die Mündung berührte die Stirn für einen winzigen Augenblick. Dann drückte ich ab.
Das geweihte Silbergeschoss sägte in den Schädel des Untoten hinein. Kopf und Körper zuckten nicht einmal. In der Stirn zeichnete sich das Loch ab, dem sich der Kanal anschloss, der tief in den Schädel hineindrang. Die Bestie selbst bewegte sich nicht mehr.
Nur Cathy zitterte wie Espenlaub, obwohl sie noch auf dem Körper lag, denn die Arme hielten sie weiterhin fest.
Sie atmete heftig und keuchend. Es war ihr auch nicht möglich, sich aus eigener Kraft zu befreien. Das übernahm ich, indem ich die Klammer der Arme löste und Cathy behutsam auf die Beine zog. Sie konnte nicht von allein stehen bleiben. Sie wartete, starrte ins Leere und atmete keuchend, während sie zugleich leise jammerte.
Ich führte sie zur Seite. Cathy ging gebückt. Ich stützte sie ab, bis wir eine der Mauern erreichten, gegen die ich Cathy drückte. »Es ist vorbei. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Es wird niemand mehr Blut von dir wollen.«
Ob sie mich verstanden hatte, wusste ich nicht. Jedenfalls schaute sie an mir vorbei, und aus ihrem Mund drangen
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