1171 - Emilys Engelszauber
schlimm war es nicht. Die Frau drückte einen blauen Knopf tief in eine Leiste hinein.
Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Natürlich nicht so wie ein normaler Lift, den wir gewohnt waren. Er ruckelte und schien sich nicht vom Boden erheben zu wollen, aber nach einer Weile schwebten wir trotzdem in die Höhe.
Glenda schaute etwas skeptisch. Sie hielt sich auch an einem Gitterstab fest. Ich hatte meine Blicke auf die Eisenplatte gerichtet, auf der wir standen. Es gab in der Mitte eine viereckige Klappe, vergleichbar mit einer Falltür.
Der Fahrstuhl fuhr nicht eben schnell. Die erste Etage ruckelte vorbei, und dann erreichten wir die zweite, wo der Lift zum Stehen kam und die ächzenden Geräusche allmählich verschwanden. Jetzt konnte auch die Tür wieder geöffnet werden.
»Wir sind da!«, erklärte die Ärztin.
Sie verließ als Erste den Lift. Glenda folgte ihr mit einem skeptischen Blick. Auch ich trat in den breiten und düsteren Flur, in dessen finsterer Atmosphäre man höchstens krank wurde, aber nicht gesund.
Es war nicht unbedingt kalt, dennoch spürte ich ein Frösteln. Auch Glenda erging es so. Auf ihrem Gesicht sah ich eine Gänsehaut, und sie schaute sich mit scharfen Blicken um.
Hier oben war es nicht so ruhig. Von irgendwoher hörten wir das Klappern von Geschirr und auch Musikfetzen wehten durch den breiten Gang mit seinen mächtigen Wänden und den grau gestrichenen Türen, hinter denen die Zellen oder Zimmer lagen. In jeder Tür gab es ein Guckloch, durch das die Zelle überblickt werden konnte.
Ich wandte mich an die Ärztin. »Ist das hier eine normale Station oder eine für schwere Fälle?«
»Eher letzteres.«
»Und Emily gehört hierher?«
Die Frau zuckte die Achseln. »Sie dürfen nicht vergessen, dass sie ausgebrochen ist.«
»Stimmt.«
»Haben Sie auch Personal?«, erkundigte sich Glenda.
Dr. Foster zuckte leicht zurück. »Bitte, wie kommen Sie denn darauf?«
»Weil wir niemand gesehen haben.«
»Das ist auch gut so. Die wirklichen Kräfte arbeiten im Hintergrund. Außerdem ist es Abend. Tagsüber sieht das hier anders aus. Auch im Park. Da gehen dann unsere Mitarbeiter mit den Patienten spazieren.«
»Gelang Emily so die Flucht?«
»Nein!« Das Gesicht der Ärztin verschloss sich. »Ich weiß bis heute nicht, wie sie die Klinik verlassen konnte. Aber sie ist wieder da, nur das zählt. Außerdem wurde sie nicht von Ihren Kollegen zurückgebracht, sondern war plötzlich wieder da.«
»Haben Sie Emily heute schon gesehen, Doktor?«
»Nein.«
»Und - zeigte sie sich verändert?«
Dr. Foster dachte nach. »Ja, ein wenig schon. Ob Sie es glauben oder nicht, sie schien glücklicher zu sein als sonst.«
»Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Nein, nein, da hat sie sich schon zurückgehalten. Obwohl ich sie auch danach fragte, aber sie blieb doch recht verschlossen. Mir fiel nur ihr Gesichtsausdruck auf. Er war so anders geworden.«
»Strahlend?«, rief Glenda dazwischen.
Dr. Foster sah Glenda Perkins an. »Ja, sie strahlte. So wie sie sieht jemand aus, der glücklich ist. Das Leben draußen muss sie genossen haben. Aber sie schien trotz allem nicht zurechtgekommen zu sein, sonst wäre sie nicht wieder freiwillig hier eingetroffen. Aber wie sie die Klinik verlassen konnte, ist mir ein Rätsel.«
»Macht Ihnen das keine Sorge?«
Die Ärztin lächelte. »So lange nichts passiert, kann ich es akzeptieren. Außerdem ist sie die Einzige gewesen, die den Weg nach draußen gefunden hat.«
»Ja, das ist wohl wahr. Seien Sie froh.«
Wir blieben nicht länger stehen. Auf den Wink der Ärztin hin wandten wir uns nach rechts.
Der breite Flur wirkte wie eine Welt aus schwachem Licht und grauen Schatten. Wir tauchten ein, wurden vom Licht gestreift, schauten nach vorn, wo sich das Licht auf den blanken Steinen spiegelte und hörten plötzlich hinter einer der Türen das schon exzessive Weinen.
Ich blieb stehen und fragte: »Wer ist das?«
Auch Dr. Foster drehte sich um. »Eine Frau. Sie muss weinen. Bei Anbruch der Dunkelheit beginnt es. Da kehrt die Erinnerung zurück. Sie hat ihren Mann und ihre Kinder bei einem schrecklichen Unglück verloren. Darüber ist sie nicht hinweggekommen. Es bricht immer wieder aus ihr hervor.«
»Können Sie nichts tun?«, fragte Glenda.
Dr. Foster hob die Schultern. »Nein, und ich bin auch dagegen, sie durch Medikamente ruhig zu stellen. Irgendwann wird es nachlassen, dann wird sie zu sich selbst finden, hoffe ich.«
Eine Mitarbeiterin
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