1171 - Emilys Engelszauber
kam uns entgegen. Sie war aus einem Raum gekommen, zu dem eine schmale Tür führte. In der rechten Hand hielt sie eine Kanne. Es duftete nach Kaffee. Als sie uns sah, schaute sie uns überrascht an.
»Moment, Karen«, sagte Dr. Foster.
»Ja bitte?«
Karen war um die 30, trug das schwarze Haar kurz geschnitten und war mit einer hellen Hose und mit einem ebenfalls hellen Kittel bekleidet.
»Haben Sie heute Abend schon Emily gesehen?«
»Klar.«
»In der Zelle?«
»Natürlich, Frau Doktor. Sie hat auch gegessen. Sie wirkte so anders. Man sah ihr die Freude am Gesicht an, die sie empfand. Ich bin wirklich überrascht gewesen.«
»Hat sie etwas gesagt?«
Karen lachte. »Es ist komisch, aber sie hat gesprochen. Und zwar von einer wunderbaren Welt, zu der sie jetzt gehört. Ich weiß nicht, was sie damit gemeint hat. Wahrscheinlich ihre eigene Welt.«
»Danke, Karen, das war alles.«
Die Pflegerin ging weiter und ließ noch einen Hauch von Kaffeeduft zurück.
»Sie sehen«, sprach Dr. Foster uns an, »dass wirklich alles in Ordnung ist und Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Ich weiß noch nicht, weshalb Sie Emily sprechen wollen.«
»Es geht da um eine Gegenüberstellung.«
»Aha.« Die Ärztin fragte glücklicherweise nicht mehr weiter und setzte ihren Weg fort, wobei Glenda und ich in ihrem Schlepptau blieben.
Eine weitere Mitarbeiterin bekamen wir nicht mehr zu Gesicht. Die erste war wie ein Geist erschienen und ebenso wieder verschwunden. In dieser Klinik schien nichts so zu sein wie sonst, und das hatte nicht nur mit dem Blinden unten zu tun.
Wieder umgab uns diese gespenstische und unnatürliche Ruhe. Durch sie bewegte sich die Ärztin auf ihren Gummisohlen so gut wie ohne Geräusche. Ihre Gestalt warf dabei einen Schatten, der an der Wand entlang strich, als suchte er dort nach einer Fluchtmöglichkeit, um in dem Gestein zu verschwinden.
Ich wusste nicht, ob ich ihr trauen konnte. Sie hatte mir nichts getan, sie hatte sich auch kooperativ gezeigt, aber war sie das auch wirklich?
Oder tat Gillian Foster es nur, weil ihr nichts anderes übrig blieb? Sie hatte uns eine glatte Oberfläche gezeigt. Unter ihr allerdings konnte es durchaus brodeln.
Auch Glenda war nicht locker. Als ich sie von der Seite anschaute, sah ich ihr angespanntes Gesicht.
Es gab keine offene Tür. Wenn wir sie anschauten, dann erinnerten sie mich an die Türen zu Panzerschränken. So ähnlich war es hier auch. Da kam niemand raus. Im Normalfall, versteht sich. Und trotzdem hatte es Emily White geschafft. Ich glaubte nicht, dass sich Glenda etwas eingebildet hatte. Und sie war auch nicht auf einen Zwilling hereingefallen, das stand ebenfalls fest.
Ich wusste nicht, wie viele Türen wir schon passiert hatten, als die Ärztin endlich stehen blieb. Sie drehte sich zu uns um und nickte. »Wir sind da.«
»Gut.«
»Darf ich einen ersten Blick durch das Guckloch werfen?«
»Bitte, Sie sind die Chefin.«
Gillian Foster brauchte sich nicht auf die Zehenspitzen zu stellen. Sie war groß genug, um ihr Auge an das Loch pressen zu können. Einen Kommentar gab sie nicht ab. Nur Glenda, die dicht neben mir stand, flüsterte: »Ich bin gespannt.«
Das war ich auch. Unsere Spannung dauerte nicht lange an. Dr. Foster drehte sich uns wieder zu. Wir sahen sie lächeln, und zugleich hob sie die Schultern an. »Wie ich es Ihnen schon sagte, Emily White befindet sich in ihrem Zimmer.« Auch jetzt vermied sie noch das Wort Zelle.
»Aber überzeugen Sie sich selbst.«
»Darf ich?«, fragte Glenda.
»Klar.«
Sie schaute ebenfalls durch. Es war nur ein kurzer Blick. Ich sah, wie sie sich verkrampfte. Die Hände ballten sich dabei zu Fäusten, und nach wenigen Sekunden trat sie von der Tür zurück und nickte mir zu. »Sie ist da, John.«
»Wunderbar, dann schließen Sie auf, Doktor.«
Aus der Tasche holte Gillian Foster einen Schlüssel. Hier lief alles nach der konventionellen Methode ab. Es gab keine Chipkarten oder Tastaturen, in die ein Zahlencode gedrückt werden musste.
Die Tür besaß Gewicht, und ebenso schwer schwang sie auch nach innen. Bisher hatte ich von Emily White nur gehört, sie aber nicht gesehen. Ich stellte fest, dass meine innere Spannung immer mehr anwuchs und hatte das Gefühl, der Lösung eines geheimnisvollen Rätsels auf die Spur zu kommen…
Da die beiden Frauen vor mir hergingen, musste ich zurückstecken.
Ich sah zwar die Zelle, aber noch nicht deren Insassin, die ich erst zu Gesicht bekam, als die
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