1172 - Die Macht des Kreuzes
für ihn. Das sagte ich ihm auch und fügte hinzu: »Sie müssen davon ausgehen, Mr. Winter, dass wir es hier mit einem magischen Phänomen zu tun haben. Es ist nicht so leicht zu fassen, wie Sie es sich möglicherweise vorstellen. Wir sind Polizisten, aber wir jagen keinen Mörder und auch keinen normalen Verbrecher, sondern ein Phänomen, für das die Regeln der Physik aufgehoben sind. Das ist nun mal so.«
»Dann bedroht mich tatsächlich ein Engel?«
Ich hob die Schultern.
»Ach, wissen Sie das auch nicht genau?«
»Nein, Mr. Winter. Es ist, wie ich sagte, ein Phänomen. Eine Gestalt, die sich auf dem Weg vom Menschen hin zum Engel befindet. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Und Sie wissen auch nicht, wie dieses Phänomen bekämpft werden kann?«
»Bisher haben wir noch keine Möglichkeit gefunden.«
Er müsste wieder lachen. Nur hörte es sich nicht gut an. »Ein Wahnsinn ist das! Dann kann ich also mit der Gewissheit leben, von einem Engel so lange verfolgt, zu werden, bis er mich erwischt und mich dann tötet.«
»Wenn Sie so denken, ist es leider die traurige Wahrheit.«
»Na, danke«, sagte er und schüttelte wieder den Kopf. »Wissen Sie, welch eine Verantwortung ich als Unternehmer hier habe? Ich muss morgen wieder in die Manege. Meine Raubkatzen-Schau ist der Höhepunkt überhaupt. Die Leute kommen oft nur meinetwegen. Das ist keine Angabe, das haben wir durch Befragungen herausgefunden. Ich kann mich nicht verstecken. Wobei sich die Frage stellt, ob man sich vor einer derartigen Person überhaupt verstecken kann.«
»Da werden Sie Ihre Schwierigkeiten haben«, gab ich zu.
»Eben, das denke ich auch. Wie ist es mit Schutz? Können Sie dafür sorgen?«
»Nur schlecht.«
Er deutete auf mich. »Sie haben gesagt, dass diese Person auch durch Wände gehen kann, obwohl ich das kaum glaube. Oder mittlerweile schon. Dann wäre ich auch nicht sicher, wenn Sie mich in eine Zelle von Scotland Yard stecken und gewissermaßen in Schutzhaft nehmen. Oder irre ich mich?«
»Sie irren sich nicht.«
»Toll.«
Wir steckten wirklich in einer Klemme. Es gab eigentlich nur eine Chance. Zumindest ich musste bei ihm bleiben, um zusammen mit ihm darauf zu warten, dass Emily zurückkehrte und das vollendete, was ihr in der Manege nicht gelungen war.
Ich wollte es ihm schon vorschlagen, als es gegen die Tür klopfte.
Ziemlich forsch sogar.
»Ja, was ist denn?«, rief Winter.
Die Tür zum Büro wurde aufgedrückt. Sie rutschte nach innen und nahm uns die Sicht auf die eintretende Person. Die erschien erst etwas später. Wir erkannten sie, als sie in das Licht trat. Es war die alte Frau, die den Kaffee gekocht hatte.
Sie kam mit langsamen Schritten näher. Der lange dunkle Rock reichte fast bis zu den Knöcheln und bewegte sich bei jedem Schritt wie eine Glocke.
»Das ist Anita«, flüsterte Winter über den Tisch hinweg. »Eine Freundin meiner verstorbenen Mutter. Sogar die beste, die sie hatte.«
Anita kam näher. Wir sahen ihr Gesicht. Und dem Ausdruck entnahm ich, dass etwas passiert sein musste, denn wie in einem offenen Buch war die Angst darin zu lesen…
***
Wir ließen sie näherkommen. Niemand von uns sprach ein Wort. Auch Winter schwieg. Er schien zu merken, dass hier etwas nicht stimmte.
Zwar deutete er auf einen Sitzplatz, aber Anita wollte sich nicht setzen.
Sie schüttelte den Kopf und blieb so dicht vor dem Tisch stehen, dass sie ihn berührte. Eine Mütze saß auf ihrem Kopf. Aus den Ärmeln schoben sich die mit braunen Altersflecken übersäten Hände hervor, die sie flach auf den Tisch legte.
Winter versuchte, sie anzulächeln, doch er traf auf keine Gegenliebe.
Die Furcht in ihren Zügen blieb bestehen.
Jeden von uns schaute sie kurz, aber gründlich an. Dann senkte sie den Kopf. »Die Gefahr«, flüsterte sie, »ist noch längst nicht vorbei. Es gibt sie auch jetzt. Sie hält sich nur verborgen. Aber ich… ich… kann sie spüren. Ich merkte es an meinen Knochen. Ich spüre, dass dort etwas hineingedrungen ist. Man kann es nicht fassen, man kann es nur fühlen, und dieses Gefühl beunruhigt mich stark.« Der nächste Blick galt Harold Winter. »Du weißt selbst, wie ich zu dir stehe, mein Lieber. Deine Mutter und ich haben uns immer verstanden. Wir waren die allerbesten Freundinnen. Ich habe dich mit aufgezogen, auch als dein Vater noch lebte. Ich kannte auch Emily sehr gut. Ich habe sie als Findelkind erlebt und schon damals gesagt, dass sie etwas Besonderes ist. Ein
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