1172 - Die Macht des Kreuzes
Tiere unter Kontrolle zu halten. Das erinnerte mich schon an die suggestive Kraft eines Mandra Korabs, eines alten indische Freundes, von dem ich sehr lange nichts mehr gehört hatte.
Auch er konnte Raubtiere unter seinen Willen zwingen.
Die Panther trotteten davon. Obwohl ich es eilig hatte, war ich noch so perplex, dass ich zunächst liegen blieb und ihnen nachschaute, wie sie verschwanden. Durch ihre dunklen Körper sahen sie aus, als wären sie von der Dunkelheit gefressen worden, und nicht einmal ihre Augen leuchteten nach.
Es war wieder still geworden. Abgesehen von den Atemzügen des Blinden, der seinen Kopf bewegte und so verzweifelt versuchte, etwas zu erkennen.
Anita stand noch immer an der gleichen Stelle. Sie hielt sich nur nicht mehr so gerade und schwankte leicht, als würde sie von Windstößen getroffen.
Ich war schnell auf den Beinen, weil ich befürchtete, dass sie kippen konnte. Tatsächlich kam ich im rechten Augenblick, um sie abzufangen.
Der letzte Vorgang hatte sie eine wahnsinnige Kraft gekostet.
»Nein, nicht. Du… du… musst dich nicht um mich kümmern. Andere Sachen sind wichtiger. Halte sie auf. Stoppe den Engel. Er darf nicht töten. Er darf die Menschen nicht mehr manipulieren. Bitte, tue alles, was in deinen Kräften steht. Ich weiß ja, dass du es schaffen kannst. Ich spüre es.«
Anita wollte es so, und deshalb ließ ich sie los. Ich war bereit, nachzufassen, doch es war nicht nötig. Sie konnte stehen, aber sie tastete nach Mirko und war froh, dessen Schulter zu erreichen, an der sie sich abstützen konnte.
Ich wandte mich dem Wagen zu. Bisher hatte ich nichts gehört. Die Wände des Fahrzeugs waren gut isoliert. Aber als ich noch näher herankam, änderte sich dies.
Ich hörte etwas.
Ein verzweifeltes Wimmern oder Jammern…
***
Ich kann nichts mehr sehen! Ich kann nichts mehr sehen!
Glenda Perkins glaubte, durchdrehen zu müssen. Der immer gleiche Satz erwischte sie mit der Wucht von Trommelschlägen und jagte Panik in ihr hoch. Es gelang ihr nicht mehr, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. In ihr war alles durcheinander. Denken, fühlen, agieren, reagieren, das alles kam bei ihr zusammen, ohne sich jedoch in Bahnen lenken zu lassen.
Glenda lag noch immer dort, wo sie gefallen war. Unter ihrem Rücken spürte sie die Härte des Tisches. Mit unkontrollierten Bewegungen schlug sie um sich, auch eine Folge der Panik. Sie räumte die Flasche und das Glas von der Tischplatte, bevor die sich herumrollte und auf dem Bauch zu liegen kam.
So blieb sie.
Ihre Arme hatte sie angewinkelt. Die Hände waren auf die Tischplatte gepresst, das Kinn halb erhoben, so dass es nicht mehr die Tischplatte berührte. Die weit geöffneten Augen brachten ebenfalls nichts, denn ihre Sicht wurde nicht besser.
Es gab sie nicht.
Es war nicht dunkel vor ihren Augen. Ein Mischmasch aus grauen und silbrigen Farben bildete so etwas wie eine Wand, die nicht eine einzige Lücke auf wies, durch die ihr ein kleiner Blick in die Normalität erlaubt war.
Aber es gab noch die anderen vier Sinne. So schlimm sie sich auch fühlte, sie wurde dennoch von ihrem eigenen Schicksal abgelenkt, denn irgendwo hinter ihrem Rücken hörte sie die typischen Geräusche, die nur ein unter wahnsinniger Angst stehender Mensch abgeben konnte. Es war eine Mischung aus Schreien, Jammern und Betteln. Die Worte waren nicht zu verstehen, doch sie kannte den Sprecher.
Harold Winter stand unter irrem Stress. Er war das Ziel, und er erlebte seinen Untergang.
Glenda sah nichts, doch sie hatte genügend Fantasie, um sich vorstellen zu können, was hinter ihrem Rücken ablief. Zudem verhielt sich eine Person wie Emily White nicht ruhig. Sie hatte lange warten müssen und konnte ihre Rache endlich genießen.
»Es war ein Fehler, Winter. Es war deine verfluchte Ignoranz, an der du jetzt ersticken wirst. Du hast mir nicht geglaubt. Kaum einer aus dieser verdammten Clique hat mir geglaubt. Nur deine Mutter, aber sie ist leider verstorben. Du hättest auf sie hören sollen. Du hast es nicht getan, und dafür wirst du büßen. Ja, du wirst büßen dafür, dass du mich in eine Klinik gesteckt hast, in der ich hinter dicken Mauern vergraben war. Aber man sperrt mich nicht ein. Man sperrt vor allen Dingen keine Engel ein, hast du gehört?«
Sie wollte eine Antwort haben, denn sie wartete ab - und musste sich noch gedulden, bevor Winter überhaupt in der Lage war, etwas zu sagen. Dabei waren seine Worte nur schwer zu verstehen. Er
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