1174 - Blut für Ludmilla
Einige Patienten hatten Besuch bekommen. Frauen, Männer und Kinder saßen an den Betten und redeten leise mit den Kranken. Obwohl die beiden Fenster nicht geschlossen waren, konnte man die Luft in diesem Zimmer vergessen. Sie war stickig, und der Geruch war nicht eben erfrischend.
Die Schwester tippte mich an. Ich drehte ihr mein Gesicht zu und musste nach unten schauen, weil sie viel kleiner war als ich. Sie deutete nach rechts und meinte damit das letzte Bett, das dicht an der Wand stand und auch nicht weit vom offenen Fenster entfernt war.
»Da ist Marek!«
»Danke.«
Den Rest schaffte ich allein. Ich fing noch ein letztes Lächeln der Schwester auf, dann bewegte ich mich auf das Ziel zu, verfolgt von den Blicken anderer Besucher. Als Fremder fiel man hier sofort auf. Um so schärfer waren auch die Blicke.
Marek war an keine Geräte angeschlossen worden. Er hing auch nicht am Tropf. Um seinen Kopf war ein Verband gewickelt worden, der allerdings sein Gesicht freiließ. Frantisek lag auf dem Rücken und hielt die Augen geschlossen. Der rechte Arm wurde von einer Schlinge gehalten, das stellte ich wie nebenbei fest.
Da es keinen freien Stuhl gab, nahm ich auf der Bettkante Platz. Die Matratze bewegte sich dabei leicht nach unten, und genau diese Bewegung ließ Marek erwachen.
Er öffnete die Augen!
Ich sagte nichts und ließ ihn zunächst nur schauen. Sein Gesicht hatte sich kaum verändert. Vielleicht waren die Falten noch etwas tiefer geworden, die Haut noch grauer oder bleicher, aber das konnte auch an seinem Zustand liegen.
Er sah mich. Er sah mich lächeln, aber es dauerte eine Weile, bis er begriffen hatte, dass ich tatsächlich neben ihm auf der Bettkante saß. Trotzdem fragte er: »John…?«
»Klar, du alter Wolf, ich bin es.« Ich strich über seine linke Hand, die auf der Bettdecke lag.
»Glaubst du denn, dass ich dich im Stich lasse, wenn du anrufst?«
Er versuchte ein Grinsen. »Du… du… bist kein Traum? Kein Spuk?«
»Nein.«
»Dann ist es gut.« Er schloss wieder die Augen, als hätte ihn das Gespräch zu sehr angestrengt, was durchaus der Fall sein konnte, denn gesund sah er mir nicht eben aus. Ich wollte ihn auch nicht zu einer Aussage drängen und wartete zunächst ab, bis er sich wieder so weit gefangen hatte, um normal reden zu können.
»Es geht mir schon wieder besser, John.«
»Das glaube ich dir.« Trotzdem schüttelte ich den Kopf, weil ich ahnte, auf was die Bemerkung hinauslief. »Glaub nur nicht, dass ich dich jetzt hier aus dem Bett hole und wir gemeinsam auf die Jagd nach Vampiren gehen. Da hast du dich geschnitten, Frantisek.«
»Nein, das meine ich auch nicht. Aber hier im Krankenhaus bleiben will ich nicht.«
»Klar. Vielleicht in drei, vier Tagen.«
Er schüttelte sehr vorsichtig den Kopf, was ihm nicht bekam, denn sein Gesicht verzog sich wegen der Schmerzen. »Es ist alles Scheiße, wenn man alt wird.«
»Hör doch auf. Das hätte mir auch passieren können. Was ich von dir am Telefon gehört habe, ist zwar nicht viel gewesen, aber dir stand ja eine Überzahl gegenüber.«
»Ja, das stimmt.«
»Na bitte.«
»Kann ich was trinken?«
»Klar, natürlich.« Die Flasche mit dem Wasser stand auf einem Tisch neben dem Bett. Ein Glas war auch vorhanden. Ich füllte es zur Hälfte und wollte Marek beim Trinken helfen, doch er protestierte.
»Nein, das kann ich allein.«
»Okay, wie du willst.«
Er schaffte es tatsächlich, denn darin hatte er schon Routine. Danach war er auch bereit zu sprechen, und ich erfuhr jetzt die Einzelheiten über die Sache auf dem Friedhof. Er gehörte zu einem etwas größeren Dorf mit dem Namen Ogonin.
»Nie gehört.«
»Ist auch nicht wichtig. Noch nicht. Du wirst hinfahren müssen, um die Heilige zu zerstören.«
»Heilig ist diese Ludmilla ja nicht eben.«
»Das ist es ja, John. Das genau ist unser Problem. Die Leute sind eben nur so dumm und glauben es. Für sie ist die Frau, die nicht verweste, mit der Bernadette von Soubirous zu vergleichen, der Entdeckerin der Heilquelle von Lourdes. Sie ist ja nach ihrem Tod heilig gesprochen worden. Der Körper sollte exhumiert werden, was dann auch passierte. Man wollte sie woanders begraben, und dann hat man festgestellt, dass ihr Körper nicht verwest war. Ein Wunder, an das die Kirche glaubt. Lourdes ist wohl jedem Europäer ein Begriff, und jetzt denken die Leute hier, dass sie mit Ludmilla Ähnliches erleben oder sogar das Gleiche, was weiß ich. Aber das ist nicht der Fall, ich
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