1174 - Blut für Ludmilla
gebracht.«
»Oh, die gibt es auch.«
»Ja, dort bewahren wir unsere Verstorbenen bis zur Beerdigung auf. Sie liegt in der Erde. Wir haben sie in einen Erdwall hineingebaut. In einen Hang.«
»Da ist sie nicht mehr?«
»Nein.«
Allmählich sah ich klarer. Für mich war Ludmilla Marek aus ihrem totenähnlichen Schlaf erwacht.
Sie hatte den Druck gespürt, diesen Hunger und auch diese Gier nach dem Blut fremder Menschen.
Sie brauchte das frische, sprudelnde Blut einfach, wenn sie nicht eingehen wollte, und wahrscheinlich hatte sie sich auf den Weg gemacht, um zuzubeißen.
»Was wollten die beiden von ihr?«
»Sie ehren.«
Ich musste lachen. »Zwei Verbrecher, die eine Heilige ehren wollen. Wo gibt es das denn?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe es Ihnen auch gesagt, aber sie ließen sich nicht überzeugen. Es endete wie es enden musste. Es gab nur die reine Gewalt, und die habe ich leider zu spüren bekommen. Mit Worten waren sie nicht zu überzeugen. Deshalb haben sie es auf eine andere Art und Weise versucht.«
»Das habe ich beinahe mitbekommen. Mal eine andere Frage. Was tun wir mit ihnen?«
»Sie sollen gehen. Ich verzeihe ihnen.«
»Da kommen sie aber gut dabei weg.«
»Ich weiß. Aber was sollen wir tun? Es sind Überzeugungstäter. Sie haben die Heilige aus dem Grab geholt. In der Kapelle sollte sie ihren Platz bekommen, um dort verehrt zu werden. Sie ist nicht mehr da, und ich soll sie angeblich weggeschafft haben. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.«
»Und sie glauben nicht, dass sich hinter der Maske der angeblich Heiligen eine Blutsaugerin verbirgt?«
»Nein, das kann man ihnen nicht erklären.«
Ich nickte. »Gut, sagen Sie ihnen, dass wir sie laufen lassen. Aber sagen Sie ihnen auch, dass sie beim nächsten Mal nicht mehr so glimpflich davonkommen.«
»Mache ich.«
In den folgenden beiden Minuten hatte ich Redepause. Lasic und Vuccu ließ ich trotzdem nicht aus den Augen. Sie standen noch immer wie auf dem Sprung. Ich war mir auch nicht hundertprozentig sicher, richtig gehandelt zu haben, aber was hätte ich anderes tun sollen? Ich konnte sie nicht einfach gefangen nehmen und der Polizei übergeben, wobei ich nicht mal wusste, ob es in Ogonin überhaupt einen Polizisten gab. Den Eindruck machte mir der Ort nicht.
Beide Männer hatten verstanden, was sie tun sollten, aber sie wirkten nicht überzeugt. Meine Waffe überzeugte sie, innerlich aber hatten sie sich nicht gewandelt.
Daniel Vuccu bewegte sich als Erster. Er steckte sein Messer weg und bedachte mich mit einem bösen Blick. Ivo Lasic zuckte mit den Schultern und grinste mich scharf an. Es war ein Grinsen, das auch ebenso gut meinen Tod versprach. Freunde hatte ich in den beiden Typen nicht gefunden. Da würden noch Probleme auf mich zukommen.
Sie zogen ab. Wie geprügelte Hunde wirkten sie nicht eben. Aber sie hielten ihren Hass in Schach, denn sie sahen auch, dass mein Zeigefinger am Abzug lag.
Ich ging ihnen noch bis zur Außentür nach und wartete auf der Schwelle, als sie ins grelle Licht der Sonne traten. Zu Vampiren waren sie noch nicht geworden, sonst hätten sie dieses Licht nicht vertragen können. Bevor sie zu einem Baum gingen, an dem sie ihren fahrbaren Untersatz angelehnt hatten - ein Moped -, drehte sich Ivo noch um. Er starrte mich an, er streckte mir den Arm entgegen, und aus seinem Mund drang dabei eine wahre Hasstirade.
Etwas Rumänisch hatte mir Marek beigebracht, und so verstand ich auch einige Worte. Sie sprachen von einem grausamen Tod, der mich ereilen würde.
Dann erst fuhren sie ab. Die Staubwolke wehte in Richtung Dorf. Ich ging wieder zurück zu Radu dem Popen, und machte mich daran, seine Fesseln zu lösen.
Wir befanden uns in seinem Arbeitszimmer oder zumindest einem Raum, der als solches durchgehen konnte. Bücher standen in krummen Regalen. In der Mitte gab es einen Schreibtisch. Eine alte Couch lud zum Sitzen ein, und zwei Stühle waren ebenfalls vorhanden. Auf einem hatte der Pope gefesselt gesessen.
Der Schlag hatte nicht nur sein Gesicht erwischt, er hatte auch die Lippen aufgerissen, sodass das Blut in kleinen Tropfen daraus hervorgedrungen war.
Radu lächelte gequält. Er trug ein graues Hemd und eine schwarze Hose. Sein Bart wuchs als graues Gewirr vom Kinn herab bis fast an die Brust. Der Pope war nicht am Boden zerstört. Dieser Mann würde kämpfen, das erkannte ich am Ausdruck seiner Augen, der nicht eben gebrochen war. Er holte ein Tuch aus der Tasche und tupfte die Lippen ab.
Weitere Kostenlose Bücher