1175 - Zeitbeben
einfallt, muß man dorthin gehen, wo das Problem präsent ist, und es scharf ins Auge fassen."
„Das kenne ich", sagte Demeter, während sie Tee eingoß. „Ich war schließlich auch eines deiner Probleme, die du nicht am grünen Tisch zu lösen vermochtest."
Roi grinste und schob ihr einen Bissen in den Mund.
„Wenn eine Frau zu plappern anfängt, soll man sie füttern", erklärte er. „Das stammt allerdings nicht von meinem Daddy, sondern von Reginald Bull."
Seine Miene verdüsterte sich.
„Armer Kerl! Was hat er alles durchgestanden! Und nun scheint alles vergebens gewesen zu sein. Ich wollte, ich konnte ihm zur Seite stehen. Dafür wurde ich mich sogar auf Virusgroße verkleinern lassen."
„Das ist nicht möglich", sagte Fleuron mit vollem Mund. Er schluckte einen Bissen hinunter. „Nur Ellert kann auf die Minierden überwechseln. Aber er sitzt jenseits von Raum und Zeit in der Nullsohle von Stein Nachtlichts Zeitturm."
Roi Danton runzelte die Stirn.
Er merkte, daß sich in seinem Bewußtsein eine vage Idee bildete. Doch sie entglitt immer wieder seiner Kontrolle, bevor er sie formulieren konnte. Nur sein Verlangen, Reginald Bull und den anderen vernetzten Menschen zu helfen, blieb.
Denn er ahnte, daß sie am stärksten unter den Auswirkungen des Chaos litten, das NATHAN unbedacht ausgelost hatte...
4.
Reginald Bull klammerte sich verzweifelt an die Streben seines Jets und ritt die Sturmfront aus Gefühlsketten und Visionen ab, die gleich einer gigantischen Fontäne aus dem Kern des Virochips hervorgebrochen war und den eben noch geordnet dahinfließenden Informationsstrom aufgespalten hatte.
Eiskalte Furcht hatte den Hanse-Sprecher ergriffen. Er wußte nicht, was die ordnende Kraft gestört hatte. Er wußte nur, daß irgend etwas zugeschlagen, die Verbindung mit der realen Welt zerrissen und die koordinierende Funktion der Ordensmänner ausgeschaltet hatte.
Bulls mentale Befehle ließen das Netz aus rot schillernden Energiefäden weit auseinander fließen. Es breitete sich über die Spitze der Visionen aus, die aus der massiven Sturmfront in die abgespaltenen Teile des Informationsstroms einzusickern versuchten. Der Jet bäumte sich jäh auf, und Bull hatte Mühe, seinen Flug wieder zu stabilisieren.
Er stöhnte, als die Visionen sich in klare Bilder verwandelten und er die halbtransparenten Konturen von Raumschiffen sah, die entfernt umgedrehten Wannen ähnelten. Rötliches Licht aus einem fremden Kosmos schimmerte durch ihre hellblauen Hüllen.
Die Horden von Garbesch!
Reginald Bull zweifelte keinen Augenblick daran, daß diese Information aus einer Vergangenheit kam, die mehr als 1,2 Millionen Jahre weit zurücklag. Alle diese Schiffe hatten die Form, die das Schiff des Hordenführers Amtranik während der Zeit der Orbiter gehabt hatte. Aber in dieser Zeit war die VAZIFAR das einzige noch existierende Schiff dieses Typs gewesen. Folglich gehörten die Bilder der vielen hundert Hordenschiffe tiefster Vergangenheit an: ein Anachronismus, der die Kontinuität des aufgespaltenen Informationsstroms bedrohte.
Bull war in Schweiß gebadet, als er die Spitze der Bilderfolge mit dem Netz aufgefangen und in ihre eigene Sturmfront zurückgeschleppt hatte. In diesen Minuten wünschte er sich, seine wahre Identität vergessen zu können und sich wie am Anfang der Vernetzung als Sturmreiter ohne Vergangenheit zu fühlen, der nur seine Aufgabe innerhalb der virotronischen Vernetzung kannte.
Doch das war natürlich reines Wunschdenken. Bull konnte nicht mehr vergessen. Er war sich seiner größeren Verantwortung bewußt, der Verantwortung gegenüber der gesamten Menschheit. Nach der Erlösung Vishnas hatte ihre Rettung nur als eine Frage der Zeit geschienen. Jetzt schien sie nicht nur in weite Ferne gerückt, sondern in Frage gestellt zu sein.
Mit einem neuen mentalen Befehl zog Bull das Netz ein und steuerte den Jet an die Ränder des gespaltenen Informationsstroms zurück. Das aus schwarzen Viren bestehende surfbrettähnliche Gebilde vibrierte unter der Belastung. Bull hob den Kopf und spürte den Fahrtwind gleich Tausenden winziger Nadeln in sein Gesicht peitschen.
Schnell senkte er den Kopf wieder.
Aber er hatte genug gesehen. Noch zwei Raumschiffe der Garbeschianer versuchten, sich in den Informationsstrom zu schleichen. Sie waren so deutlich zu sehen, als wären sie gegenständlich, aber der Terraner wußte, daß sie es ebenso wenig waren wie alle anderen Bilderfolgen und Visionen.
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