118 - Der Unersättliche
übergeschnappt sei. Doch dann sagte er sich, daß Hubert einfach zuviel getrunken hatte.
„Auf zu Alcione."
Sie mußten mit Tonios Hochseejacht um eine Landzunge mit dem Strand Dos Ossos herumfahren, um Alcione Monteiros Privatstrand zu erreichen. Schon von weitem waren die meterhohen Lagerfeuer zu erkennen. Als sie zur Anlegestelle fuhren, schaltete Tonio den Bugscheinwerfer ein, um den Badenden ausweichen zu können.
Vom Haus her kamen Sambaklänge.
Tonio und Keller waren kaum auf dem Steg, als sie von einer Schar angeheiterter Mädchen umringt wurden. Keller schmunzelte. Das war wie in guten alten Zeiten - und er hatte geglaubt, daß bereits alle Mädchen von Buzios besessen seien.
Seine gute Laune erstarb aber schnell, als er Marcia, Lisa und Leila erblickte. Mit einigen anderen Mädchen standen sie abseits, als ginge sie das Treiben nichts an. Sie steckten verschwörerisch die Köpfe zusammen.
„Vorsicht, Tonio", raunte Keller dem Freund zu. „Da ist Lisa. Vergiß nicht meinen Rat."
„Hallo!" rief Tonio. Nur Lisa schenkte ihm ein Lächeln. Es schien, als wolle sie zu ihm eilen. Doch dann zögerte sie.
„Ich vermisse da Silva", sagte Keller zu einem Bekannten. „Ich dachte, daß er die
batucada
anführt. Ein Happening ohne ihn ist doch wie eine Frau ohne Unterleib."
„Er wird schon noch seinen Auftritt haben", antwortete jemand. „Im Augenblick operiert er die Frau des Hauses. Alexandra klagte über Unterleibsschmerzen… "
Keller war wie elektrisiert, als er das hörte. Das war eine Gelegenheit, um Longrival auf die Finger zu sehen und herauszufinden, was er tatsächlich mit den Mädchen anstellte.
„Entschuldige mich", sagte er zu Tonio. „Und vergiß nicht, was ich dir gesagt habe."
„Mann, kannst du einen löchern!"
Keller eilte davon. Auf seinem Weg bemerkte er, daß überraschend viele Mädchen Raffia-Schnüre an den Armen oder um den Hals trugen. Vielleicht war das nur eine neue Modetorheit - aber Keller hatte die Raffia-Schnur um den Hals der Mae Nara gesehen…
Er erreichte die Rückseite des Hauses. In einem Gebüsch ertönte Rascheln und Gestöhne. Schnell ging er durch den Hintereingang.
Im Haus herrschte angenehme Stille. Es schien geräumt worden zu sein, damit der Curandeiro bei seiner Arbeit Ruhe hatte.
In welchem Raum nahm er die Operation vor? Keller wußte aus Erzählungen, daß er dafür die Schlafräume seiner Patienten bevorzugte. Und die Schlafräume in Alciones Haus lagen im Obergeschoß.
Keller schlich geräuschlos die Treppe hinauf. Er erreichte die obere Etage und lauschte an der ersten Tür. Nichts regte sich dahinter. Erst hinter der vierten Tür waren Geräusche zu hören.
Eine Stimme murmelte beschwörende Worte, die keinen Sinn ergaben. Es hörte sich an wie „Ethere - Erehte'… Zwischendurch klirrte und klimperte es.
Keller lief zur angrenzenden Tür. Er kam in ein Schlafzimmer, das eine männliche Note hatte. Es mußte das von Alcione sein. Gab es eine Verbindungstür zum Schlafgemach seiner Frau?
Da war eine Tür. Keller öffnete sie langsam. Er trat in ein Bad, das eine zweite Tür hatte. Hier waren die Geräusche deutlicher zu vernehmen. Und es gab ein Oberlicht.
Keller begann, vor Aufregung zu zittern, als er auf den Rand der Badewanne stieg. Von dort konnte er in den Raum blicken, in den sich der Curandeiro mit seinen drei Assistentinnen und der Patientin zurückgezogen hatte.
Keller stockte der Atem.
Alexandra Monteiro lag nackt und wie gekreuzigt auf dem Bett, das mit einem weißen Leinentuch bespannt war. Es war blutgetränkt, und auf dem Fußboden lag ein verstümmelter gerupfter Hahn. Alexandra war an Armen und Beinen mit Raffia-Schnüren an das Bettgestell gebunden.
Lonrival leerte gerade eine Whiskyflasche, warf sie achtlos von sich. Sie rollte unter eine leere Kommode. Er ergriff zwei rostige Macheten und hielt sie über Alexandras Körper. Dann rief er: „Kether! Kether! Kether!"
Und Alexandra wiederholte die Worte wie in Trance. Lonrival ließ die Macheten auf ihren Körper sinken. Wollte er sie damit zerstückeln?
Plötzlich ließ der Curandeiro die Macheten wirbeln. Keller schwindelte, als er den rasenden Bewegungen der Klingen folgen wollte. Sie fuhren in den Leib der Frau - kreuz und quer - und hinterließen blutige Wunden.
Keller war starr vor Entsetzen. Er war unfähig einzuschreiten. Alexandra war so tief in Trance, daß sie nicht zu spüren schien, daß die rasiermesserscharfen Klingen in ihren Leib
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