118 - Der Unersättliche
fest umklammert.
Buzios
Hubert Keller erreichte die ersten Häuser.
Als er stehenblieb, um Atem zu holen, stellte er erleichtert fest, daß von seinen Verfolgern nichts mehr zu sehen und zu hören war.
Wohin sollte er sich wenden? In sein Haus wagte er sich nicht. Die Furien wußten, wo er wohnte, und womöglich erwarteten sie ihn dort mit ihren Raffia-Schnüren. Zu Alcione Monteiros Anwesen konnte er auch nicht. Dort war er den Kether-Mädchen erst recht ausgeliefert.
Er ging die Liste seiner Freunde und Bekannten durch, um einen zu finden, in dessen Haushalt keine Frau wohnte. Denn soviel war Keller inzwischen klar - Lonrival da Silva hatte nur weibliche Wesen in seine Sekte aufgenommen.
Warum mußte denn die Mae Nara sterben? Wahrscheinlich wußte sie zuviel. Ihre hellseherischen Fähigkeiten hatten ihr gezeigt, was hier gespielt wurde. In Trance hatte sie die Gefahr erkannt - und das hatte sie zu einer Todeskandidatin gemacht.
Lonrival da Silva war ein wahrer Teufel.
Keller fragte sich, warum das Böse gerade jetzt und mit solcher Heftigkeit ausgebrochen war. Was bezweckte der Oga? Wollte er die Männer von Buzios ausrotten? Warum schickte er seine willenlosen Amazonen in den Krieg gegen die Männer?
Fragen über Fragen…
Keller befaßte sich nicht weiter mit ihnen. Für ihn ging es ums Überleben.
Martino Lessa!
Dieser Name erschien wie ein Leuchtfeuer in Kellers Geist.. Ein verheißungsvoller Name. Er versprach Rettung.
Martino Lessa war der einzige, von dem Keller wußte, daß er sich überhaupt nichts aus Frauen machte. Und es war bekannt, daß noch nie ein weibliches Wesen einen Fuß in sein Haus gesetzt hatte.
Es befand sich ganz in der Nähe, nur einige Straße weiter. Keller konnte in fünf Minuten dort sein. Er erreichte die Hauptstraße. Hier herrschte trotz der vorgerückten Stunde ein unbeschreiblicher Trubel. In Buzios war die Nacht nicht zum Schlafen gedacht. Alle Bars waren überfüllt und über die Hauptstraße wälzte sich eine unüberschaubare Menschenmenge.
Was für ein Paradies mußte Buzios gewesen sein, bevor Brigitte Bardot und Bob Zaguri hierhergekommen waren und die verträumten Buchten für die Snobiety entdeckt hatten…
Keller drängte sich durch die Menschenmenge. Ersuchte nach bekannten Gesichtern - nach Mädchen mit Raffia-Schnüren, die er bei dem grausigen Ritual am Strand beobachtet hatte.
Irgend jemand rief ihn an. Keller stellte sich taub. Er hastete weiter. Dort war die Seitenstraße. Nur noch wenige Schritte, und er konnte den Menschenstrom verlassen und schneller seinem Ziel zustreben.
Da drängte sich von hinten ein weicher, warmer Körper gegen ihn.
Feste Brüste drückten seinen Oberarm. Er blickte zur Seite. Ein fremdes Mädchenantlitz blickte ihn an und schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Er erwiderte das Lächeln stereotyp. Aber es gefror ihm auf den Lippen, als er die Raffia-Schnur um den Hals des Mädchens sah. Sie spielte kokett damit.
„Hau ab!" zischte Keller und drückte ihr die Pistole gegen den Bauch.
Das Mädchen begann zu schreien. Sofort wurden ringsum alle auf ihn aufmerksam.
„Er hat eine Pistole!" schrie das Mädchen wie von Sinnen. „Es muß ein Wahnsinniger sein!"
Keller wußte selbst nicht, warum er sich so hatte gehenlassen. Als er die Raffia-Schnur gesehen hatte, war er in Panik geraten. Vielleicht war das Mädchen gar keine Besessene gewesen … Egal - jetzt konnte er nichts mehr ändern.
Er bahnte sich mit Fäusten und Ellenbogen einen Weg durch die Passanten und tauchte in der dunklen Seitengasse unter. Von einem der erleuchteten Häuser erklangen die Klänge von Mariachi- Musik. Eine Frau sang mexikanische Lieder.
Er erreichte Lessas Haus. Alle Fenster waren dunkel. Das konnte um diese Zeit nur bedeuten, daß Martino ausgegangen war. Da er allein lebte und keine Dienerschaft hatte, würde das Haus verlassen sein.
Keller blickte sich verstohlen um und kletterte dann über den Zaun. Da war es ihm, als hörte er vom Haus ein Geräusch. Er blieb stehen und warf sich hinter ein Gebüsch. Dort verharrte er reglos einige Minuten. Nichts war zu hören.
Ich mache mich nur selbst verrückt, sehe schon überall Gespenster, dachte er.
Er wollte sich schon erheben, als er das Geräusch wieder hörte. Diesmal ganz deutlich. Als er zu einem der Fenster im Erdgeschoß blickte, bemerkte er hinter den vorgezogenen Vorhängen einen schwachen Lichtschein.
Er schlich vorsichtig hin. Durch den Spalt sah er nicht viel. Das
Weitere Kostenlose Bücher