1181 - Die Clansmutter
zischte sie leise. „Komm, Ahnay, beeile dich!"
Sie zog ihr Pflegekind zu der einzigen Tür, die im Augenblick unverriegelt war, jener Tür, durch die man in den langen, schmalen Korridor gelangte, an dessen Ende Stiras private Wohnräume lagen.
Ahany kannte sich dort aus, und Stira erklärte ihm eilig, was er tun sollte. Dann eilte sie zu den Klangplatten, entfernte die Verriegelung und ließ eine langsame, melancholische Klangfolge ertönen, die zu keinem bestimmten Lied gehörte, sondern gelegentlich als Überleitung zwischen unterschiedlichen Melodien diente. Dabei behielt sie F'durnadde im Auge und wartete ungeduldig auf Ahany.
Der Junge kehrte schon nach wenigen Atemzügen zurück, und seine Haut war feucht vor Aufregung und Angst, aber auch vor Anstrengung. Stira bedeutete ihm, leise, zu ihr zu kommen. Während sie die Überleitung variierte und ausdehnte, nahm sie Ahany einen kleinen Kasten ab und stellte an ihm herum, und plötzlich erklang das Lied der Kämpfe, so. rein und klar, als hätte Stira selbst es getanzt.
Während Ahany noch völlig verblüfft den Kasten anstarrte, verließ Stira hastig die Klangplatten. Sie schwangen leise mit und verliehen dem Lied damit jene Klangfülle, die der kleine Kasten allein niemals hervorbringen konnte. Stira bedeutete dem Jungen ärgerlich, schleunigst in die entlegene Ecke zurückzukehren. Sie selbst blieb bei den Klangplatten und beobachtete F'durnadde, bereit, den Kasten auszuschalten und selbst weiterzutanzen, wenn die Clansmutter unruhig wurde.
Aber es schien, als würde F'durnadde diese Klänge akzeptieren, denn die bereits leicht gesträubten Schuppen glitten wieder zurück. „Was ist das für ein Kasten?" fragte Ahany flüsternd, als Stira zu ihm zurückkehrte. „Den habe ich Puka vor einiger Zeit abgenommen", erklärte Stira mit tiefer Genugtuung. „Sie war zu faul, die Lieder selbst zu tanzen. Irgend jemand hat dieses Ding dort für sie gebaut, und sie stellte es heimlich in eine Ecke, wenn ich für F'durnadde tanzte. Es hat alle Lieder gespeichert."
„Ich finde, es hört sich großartig an", sagte Ahany. „Warum könnt ihr das nicht immer so machen?
Dann müßtest du nicht soviel tanzen!"
„Es ist verboten", widersprach Stira resolut. „Aber in einer Situation wie dieser wird selbst F'durnadde mir verzeihen."
Dabei war Stira sich dessen durchaus nicht sicher. In der Station hätte es selbstverständlich die Möglichkeit gegeben, jedes Lied aufzuzeichnen und abzuspielen, so oft F'durnadde es zu hören wünschte. Aber die Clansmutter hatte seit jeher darauf bestanden, daß die Wächterinnen persönlich für sie tanzten, und dafür mußte es einen Grund geben. „Paß jetzt gut auf, Ahany", sagte Stira und schob diese Gedanken von sich. „Puka weiß zwar, daß ich ihr dieses Gerät abgenommen habe, aber sie wird sich hoffentlich nicht ausgerechnet jetzt daran erinnern. Sie und Stillog werden annehmen, daß ich immer noch tanze. Nach einiger Zeit werden die beiden allerdings die Geduld verlieren, du mußt dich also beeilen."
„Was soll ich tun?" fragte Ahany eifrig. „Du kehrst so schnell wie möglich zu Rekkam zurück. Damit dich keiner sieht, hältst du dich wieder an die Belüftungsschächte - und verschwende möglichst wenig Zeit damit, irgend jemanden zu belauschen, hast du verstanden?"
„Ich werde mich beeilen", versicherte Ahany. „Bei dir gibt es auch einen Zugang zu den Schächten."
„Ja, und den kannst du benutzen, damit niemand dich sieht. Richte Rekkam folgendes aus: Erstens -F'durnadde lebt, aber sie ist sehr krank. Wir brauchen dringend Hilfe für sie. Leider hat sie uns verboten, Heilkundige von den Clans anzufordern, aber vielleicht fällt irgend jemandem ein Ausweg ein. Zweitens soll er Nachforschungen bei den Wächterinnen und den Pflegerinnen veranlassen - natürlich ganz unauffällig. Die Stimmung bei ihnen dürfte schlecht sein, und wenn die, die noch nicht auf Stillogs Seite gelandet sind, jetzt plötzlich offen verdächtigt werden, laufen sie am Ende erst recht zu ihm über. Die, die nach wie vor zu F'durnadde stehen, soll er zu mir schicken. Sie müssen ein Kennwort nennen - aber was nehmen wir da? Es muß etwas sein, worauf weder Stillog noch einer der anderen kommen kann!"
Sie überlegte. „Wie wäre es mit Iralasong?" fragte Ahany plötzlich. „Den Namen kann Stillog fürs erste bestimmt 'nicht mehr hören."
„Gut", stimmte Stira ein. „Die, die als nicht zuverlässig erscheinen, soll er isolieren. Und
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