1182 - Halloween Man
sinken ließ und den Kopf wieder anhob. Ohne Frank Evans anzuschauen, sprach sie mit leiser Stimme. »Ich weiß ja, dass es schwer ist, mir zu glauben, aber es stimmt. Ich habe das Gesicht gesehen. Es war keine Gestalt aus dem Nebel. Es war keine Einbildung. Dieses Gesicht hat es gegeben. Furchtbar, nicht Mensch, nicht Skelett. Irgendwo dazwischen…«
Auch Frank spürte den Schauer auf seiner Haut. Er machte ihr einen Vorschlag. »Wenn es dich dann so getroffen hat, Claudia, wäre es nicht besser, wenn wir die Reise abbrechen?«
»Nein«, flüsterte sie tonlos. »Das wäre nicht besser, glaube ich. Wir… wir sollten fahren. Ich will auch Mirco finden.«
Evans wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Noch hatte er Hoffnung, dass der junge Mann lebte, und er machte sich Vorwürfe, dass er nicht die Umgebung der Bude abgesucht hatte. Er entschuldigte es mit einer Stresssituation. Da reagieren Menschen eben oft leider falsch.
Und die Nacht stand erst am Beginn.
Die jungen Leute wollten in der Ruine feiern. Die Getränke und auch das Essen hatten sie eingepackt. In der Ruine war bereits alles vorbereitet worden.
Nein, die Fete stand unter einem verdammt schlechten Stern. Aber darüber wollte Frank Evans jetzt nicht nachdenken. Sein Job war das Fahren, und den führte er aus…
***
Die Kehle sah aus, als wäre sie von einem roten Schal umgeben. Das Blut war eingetrocknet, und ich hatte mit einem Blick erkannt, was hier passiert war.
Man hatte die Kehle nicht nur einfach durchgeschnitten, man hatte sie regelrecht zerrissen. Von einer Pranke, durch einen Gegenstand möglicherweise. Es hätte ein Raubtier sein können, aber auch eine von Menschen erschaffene Waffe.
Das Gesicht des Toten zeigte noch den Schrecken, den der junge Mann in den letzten Sekunden seines Lebens durchlitten hatte. Die Augen sahen so kalt aus. Niemand hatte sie ihm geschlossen. Er musste durch den Tod überrascht worden sein.
Wer war sein Mörder?
Wieder dieser Halloween Man? Diese Spukgestalt, die durch den Nebel geisterte und von der keiner wusste, ob sie tatsächlich existierte? Ich hatte damit auch meine Probleme, aber auf der anderen Seite hatten Lady Sarah und Jane Collins wieder einmal den richtigen Riecher gehabt. Für uns war das keine Fahrt ins Blaue gewesen, sondern eine ins Grauen.
Ich spürte einen verdammt schlechten Geschmack im Mund. Hier war Partytime und Killertime zugleich. Ich glaubte nicht, dass beides zueinander passte und wollte auch nicht akzeptieren, dass diejenigen, die hier feierten, mit einer Leiche rechneten. Es hatte für sie die böse Überraschung werden sollen.
Ich ging einmal um den Tisch herum. Dabei suchte ich den Boden nach Spuren ab. Nicht ein Tropfen Blut zeigte sich im hellen Licht meiner Lampe. Für mich stand fest, dass der Mann nicht hier umgebracht worden war. Man hatte ihn hier nur als makabre Dekoration auf den langen Partytisch gelegt.
Für mich stand jetzt schon fest, dass ich mit Jane Collins zusammen die nächsten Stunden hier verbringen würde. Aber sie musste erst Bescheid bekommen.
Ich ließ den Keller in der dichten Dunkelheit zurück und stieg wieder die Treppe hoch. Auf dem Rückweg war ich nicht mehr so locker wie auf dem Hinweg. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass sich der Killer noch hier in der Nähe aufhielt, denn Verstecke gab es genug.
Auf dem leeren Burghof blieb ich stehen. Der Nebel hatte wieder zugenommen. Seine Schwaden schwammen wie Tücher um das alte Gemäuer herum und ließen die Konturen zerfließen. Ich hörte keinen Laut und sah auch keinen Lichtschein einer zweiten Taschenlampe.
»Jane…?«, rief ich in den Dunst hinein.
Erleichtert nahm ich ihre Antwort zur Kenntnis. Ich hatte sie nicht sehen können, weil zwischen uns eine alte Mauer stand. Erst als Jane sie hinter sich gelassen hatte, sah ich den Lampenschein als diffuses Licht im grauen Nebel.
Da ich mit der Lampe leuchtete, wusste sie, wohin sie sich wenden musste.
Vor mir blieb die Detektivin stehen. »Entdeckt habe ich nichts, John.«
»Keinen Halloween Man?«
»Nein.«
»Er ist möglicherweise hier gewesen.«
Jane war über meine Antwort erstaunt und auch über den Klang meiner Worte. »He, soll das heißen, dass du mehr weißt?«
»Es gibt einen Toten!«
Mit dieser Antwort hatte selbst Jane nicht gerechnet und zeigte sich entsprechend überrascht. »Bitte? Sag das noch mal. Was soll es geben? Einen Toten?«
»Ja.«
»Wo denn?«
»Unten in dem Verlies, das ich durchsucht habe.
Weitere Kostenlose Bücher