1183 - Visionen der Hölle
Der kleine Flur sah aus wie immer. Kahl und nüchtern. Die dunklen Fliesen waren stumpf und hätten ruhig geputzt werden können.
Uninteressant. Es gab mehrere Türen in diesem Bereich, die zu den verschiedenen Räumen führten.
Quint war nicht zu sehen.
Ray blieb stehen und überlegte. Quint war scharf auf Doria. Das verbarg er nicht. Er suchte immer nach einer Möglichkeit, mit ihr allein zu sein. Dafür eignete sich ihre Garderobe am besten. Dort machte sie sich für die Auftritte fertig. Da saß sie auch zwischen den Auftritten und entspannte sich.
Ray ging auf die entsprechende Tür zu. Soviel ihm bekannt war, schloss Doria nie ab, wenn sie den Raum verließ, um ihre Schau abzuziehen, und das war auch jetzt der Fall, denn Ray konnte die Tür ohne Probleme öffnen.
Er tat es vorsichtig und schaute hinein in einen dunklen Raum. Fenster gab es nicht. Die früheren Bewohner des Hauses hatten dieses schmalere Zimmer als Abstellkammer benutzt.
Ray hatte eigentlich vorgehabt, Licht zu machen, doch davor schreckte er zurück. Eine innere Stimme und zugleich eine Warnung riet ihm, erst mal abzuwarten, und deshalb blieb er auf der Stelle stehen und hielt sogar den Atem an.
Er hörte nichts. Es war so verdammt still. Aber sein Misstrauen war geweckt.
Den Grund konnte er sich weder vorstellen, noch sah er ihn. Aus dem Flur fiel zwar das Licht über die Schwelle hinweg, doch es reichte nicht besonders tief in den Raum hinein. Die Dunkelheit verschluckte es sofort.
Er schnüffelte. Seine Nase zuckte dabei. Dann schluckte er und hatte dabei den Eindruck, einen Teil dieses ungewöhnlichen Geruchs zu schlucken. Er konnte nicht sagen, um was es sich dabei handelte. Aber es war fremd und roch nicht gut.
Nach Tod? Nach Gewalt? Nach etwas Unaussprechlichem, was hier vor ihm passiert war?
Ray, der sonst nicht feige war, musste sich schon überwinden, nach dem Lichtschalter zu tasten.
Er fuhr mit der Handfläche darüber hinweg - und plötzlich erhellte sich der Raum.
Er sah es.
Er sah es mit einem Blick.
Ray war entsetzt. Seine Hand fuhr hoch zum Mund und presste sich auf die Lippen.
Dieser Raum war zu einer Hölle geworden. Und Quint, den gab es auch noch, aber er war kaum zu identifizieren…
***
Ray wunderte sich selbst, dass er sich nicht übergeben musste. Er hätte sich aufgrund seiner Härte selbst auf die Schulter schlagen können, aber das war es nicht. Er war in diesen fürchterlichen Augenblicken nicht mehr er selbst. Etwas anderes musste in ihn hineingeraten und von ihm Besitz ergriffen haben.
Er stand noch auf der Schwelle. Er sah, was geschehen war, und trotzdem ging es irgendwie an ihm vorbei, da sich zwischen ihm und dem Grauen eine Mauer aufgebaut hatte. Sie ließ diesen verdammten Schrecken nicht zu dicht an ihn heran.
Er schwankte und musste sich am Türrahmen abstützen. Quint lag nicht weit von ihm entfernt. Etwas nach links versetzt, und er lag inmitten einer großen Blutlache.
Quint war nicht einfach nur getötet worden, nein, sein Mörder oder seine Mörder hatten ihn regelrecht vernichtet. Man musste ihn schon gut kennen, um ihn identifizieren zu können.
Ray wandte seinen Blick von dieser schlimm zugerichteten Gestalt ab und kümmerte sich um die Umgebung.
Sie war nicht verändert. Abgesehen davon, dass der Garderobenstuhl umgefallen war. Er lag einige Schritte von der Garderobenkonsole entfernt.
Ray ging davon aus, dass ein Kampf stattgefunden haben musste. Einer wie Quint ließ sich so leicht nicht fertig machen. Zugleich baute sich eine weitere Frage auf. Gegen wen in alles in der Welt hatte Quint denn so kämpfen müssen?
Gegen Einbrecher?
Nein, bestimmt nicht. Einbrecher töteten, wenn überhaupt, nicht auf eine derartige Art und Weise.
Das hier war Dorias Garderobe. Sie hatte den Raum immer als Refugium angesehen, in das sie sich zurückziehen und auch nachdenken konnte. Hier wollte sie nicht gestört werden. Einer wie Ray hatte dies akzeptiert, Quint aber nicht.
Jetzt war er tot!
Sollte sie…?
Ray wagte den Gedanken nicht fortzuführen. Zu unwirklich und zu weit hergeholt kam er ihm vor.
Nein, das war einfach nicht wahr. Das schaffte sie nicht. Nicht gegen den starken Quint. Der hätte sie in der Luft zerreißen können und nicht umgekehrt.
Jemand musste heimlich in das Haus eingedrungen sein. Ein irrer Killer, ein Psychopath, dem Quint über den Weg gelaufen war. Doria hatte möglicherweise Glück gehabt, sonst wäre ihr das Gleiche passiert.
»Nein«, flüsterte er,
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