1190 - Geisterrache
die Tür geklopft hatte. Das hörte sich anders an.
Wo dann?
Innen oder außen?
Da sich das Geräusch nicht mehr wiederholte, versuchte er selbst, es herauszufinden. Er stand links vom Altar und damit auch nicht weit von der Kirchenwand entfernt, die durch zahlreiche, nicht zu hohe Fenster aufgelockert war.
Sie suchte der Küster der Reihe nach ab. Die Fenster bestanden aus dickem Glas, wiesen aber keine Motive oder Heiligenfiguren auf.
Um die Kirche herum war der Tag grau geworden. Der Sonnenschein hatte sich verloren. Obwohl es noch nicht Abend war, zeichnete sich bereits der Schleier der Dämmerung ab.
Dem Küster stockte der Atem!
Er hatte etwas gesehen. Und zwar am dritten Fenster von ihm aus gesehen links. Es war nur eine Bewegung gewesen, aber er wusste zugleich, dass er keiner Täuschung erlegen war. Ein fließendes Etwas, fast zu vergleichen mit einem Nebelstreifen, der sich in den kühlen Morgenstunden über den Teichen und feuchten Stellen in den Flussauen bildet.
Das konnte hier nicht sein. Und Nebel war ebenfalls nicht angesagt. Der Küster merkte, wie sein Herz immer heftiger klopfte. Er klammerte sich an der Leiter fest und spürte, wie ihm der Schweiß aus den Poren drang.
Nach wie vor konzentrierte er sich auf das bestimmte Fenster. Obwohl er sich vor dem Phänomen fürchtete, wollte er es noch mal sehen, auch, um seinen Verdacht bestätigt zu bekommen.
Da war sie wieder!
Ja, und es war kein Nebel, sondern ein flatterhaftes Etwas, das sich außen vor der Scheibe bewegte.
Etwas Unheimliches, ein Phänomen, das sich der Küster nicht erklären konnte. Die Augen schmerzten ihm vom jetzt schon zu langen Starren, doch in dieser Situation riss er sich einfach zusammen.
Das war nicht normal.
Es flatterte. Aber nicht wie ein Vogel so heftig, dazu war es auch zu groß. Das sah so aus, als hätte der Wind irgendwelche Tuchfetzen in die Höhe geblasen.
Glaser beugte sich weiter nach links, um einige Zentimeter zu gewinnen. Es brachte ihm nichts, wenn er jetzt von der Leiter stieg, um auf dem Boden nachzuschauen. Die Fenster lagen zu hoch. Er hätte das Ding niemals deutlicher erkennen können.
Dafür sah er es jetzt besser, denn nach einem kurzen Zucken flog es noch näher an die Scheibe heran. Wieder erklang das harte Geräusch, und jetzt erkannte der Küster, wer dort tatsächlich außen vor dem Kirchenfenster schwebte.
Es war ihr Geist - Gunhilla Blaisdell!
***
Dass er nicht abrutschte, kam ihm wie ein Wunder vor. Er stand da, er tat nichts, aber er hatte das Gefühl, die Leiter würde von einer Seite zur anderen schwanken. Noch immer hielt er sich krampfhaft fest. Für ihn war plötzlich das gesamte Fundament der Kirche auf weichem Sand gebaut.
Die Lampen unter der Decke pendelten auf und ab, und ihn selbst hatte ein Schwindel erfasst, als stünde sein Kreislauf dicht vor dem Zusammenbruch.
Dann war es vorbei!
Nicht schlagartig. Es ging langsam vor sich. Eine fremde Hand zog allmählich die milchigen Glasscheiben vor seinen Augen weg, und so konnte er wieder klar sehen.
Zunächst wunderte sich Hank Glaser darüber, dass er noch immer an der gleichen Stelle und auch auf der gleichen Stufe der Leiter stand. Er war nicht gefallen, er lag nicht am Boden, und er schickte einen ersten vorsichtigen Blick nach unten.
Da war alles klar. Von seinem erhöhten Standort gelang ihm auch der Blick bis hin zur Eingangstür der Kirche. Er schweifte über die Bänke hinweg, hinter denen dann die Tür und das dunkle Taufbecken nur schwach zu erkennen waren.
Keiner war mehr da. Auch am Fenster nicht. Aber den verfluchten Geist hatte er sich nicht eingebildet. Noch auf der Leiter stehend, wusste er, was zu tun war. Er würde so schnell wie möglich seine drei Clubfreunde anrufen und sie warnen.
So wie jetzt war er noch nie in all den Jahren die Leiter hinabgestiegen. Nicht nur die Knie zitterten ihm, auch die Arme und die Hände. Er hatte sogar Mühe, sich an den Sprossen festzuhalten. Das alles hing nicht mit seinem Alter zusammen, sondern allein mit der verdammten Angst, die ihn einfach nicht losließ.
Selbst als er die letzte Sprosse hinter sich gelassen hatte, fühlte er sich kaum besser, obwohl er jetzt festen Boden unter den Füßen spürte.
Der Küster ging vom Baum weg, weil er einfach aus dessen Schatten herauswollte. Er fühlte sich dort unwohl. Alles was jetzt mit der Dunkelheit zusammenhing, konnte ihm nicht gefallen. Die Finsternis war schlimm, aber er kannte auch eine andere Dunkelheit.
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