1193 - Das Templerkind
stimmte da nicht…
»Denkst du über die Ferrant nach, John?«
»Das tue ich in der Tat. Ich frage mich nämlich, warum sie sich erschossen hat.«
»Es war ein Befehl.«
»Von dir?«
Clarissa war überfragt. Sie hob die Schultern. »Das kann sein, John. Ich merkte plötzlich, wie etwas in mich eindrang, aber der Befehl ist wohl nicht von mir gekommen. Ich habe ihn einfach nur weitergeleitet.«
»Dann könnten die Geister deiner Eltern eingegriffen haben?«
»Glaube ich auch, John. Ich habe ihnen ja gehorcht. Ich war nur für sie da und…«
»Lass es gut sein, Clarissa. Das hier gehört bereits der Vergangenheit an.«
Sie wollte es nicht akzeptieren. Zudem lagen dort noch die Skelette. »Was geschieht mit ihnen? Müssen Sie nicht begraben werden, John? Oder wie denkst du darüber?«
»Das wird sich machen lassen, aber es ist nicht unsere Aufgabe. Wir haben schon viel Zeit verloren. Lass uns gehen. Und du musst versuchen, das hier zu vergessen. Dass es nicht leicht sein wird, weiß ich, aber die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden.«
Das Mädchen schwieg. Es überlegte aber und schaute sich die makabren Gestalten an. Die Knochen leuchteten uns bleich entgegen. Es bewegte sich nichts bei ihnen. Sie trafen auch keinerlei Anstalten, sich zu erheben, wie ich es bei Skeletten schon, öfter erlebt hatte.
Ich wusste, dass es Clarissa trotz allem schwer fiel, sich von den beiden zu lösen. Schließlich waren es einmal ihre Eltern gewesen, auch wenn sie nie etwas von ihnen gehabt hatte, wie ein normal aufgewachsenes Kind.
Sehr langsam drehte sie sich um und damit auch dem Ausgang dieser alten Höhle zu. Sie brauchte jetzt Trost und auch eine Stütze, denn sie fasste nach meiner Hand.
»Jetzt bin ich fast erwachsen, John…«
»Fühlst du dich so?«
»Ja, denn jetzt weiß ich, dass meine Eltern nicht mehr leben und ich allein auf der Welt stehe. Das ist schon seltsam, doch ich kann daran nichts ändern.«
»Musst du auch nicht. Du wirst dich an dein neues Leben gewöhnen und irgendwann wieder in die Welt hineintreten.«
Wir gingen durch die Torbogentür. Es wurde heller, aber nicht lichterfüllt, denn auch weiterhin zeigte der Himmel seine graue Farbe.
»Und du glaubst, dass Baphomet, dieser Dämon, mich nicht in Ruhe lassen wird?«
»Das kann ich dir beim besten Willen nicht sagen, Clarissa. Du solltest nur darauf gefasst sein. Er hat es schon bei dir versucht, wenn du dich erinnerst. Da hast du mein Kreuz regelrecht gehasst. Das war nicht dein Wille, sondern seiner.«
»Stimmt.«
In den Dünen hatte sich an der Einsamkeit nichts, verändert. Wir hörten das Rauschen des Wassers nur gedämpft. Allerdings waren die Schatten etwas länger geworden, und die Kälte des Nachmittags schlich heran wie ein Dieb.
Clarissa Mignon hielt den Kopf gesenkt, umfasste meine rechte Hand und ging neben mir her. Ihre Schuhe schlurften durch den Sand, der auch am Leder und den Sohlen klebte. Immer wieder zog sie die Nase hoch, murmelte manchmal etwas vor sich hin und war ansonsten mit ihren Gedanken beschäftigt, ebenso wie ich.
Es war ein ungewöhnlicher Fall, in den ich da hineingedrängt worden war. Ich war mir nicht sicher, ob ich hier mehr als Psychologe oder als Geisterjäger gefragt war. Sicherlich traf beides zu, und ich dachte daran, dass ich noch keinen richtigen Abschluss gefunden hatte.
Die Dünen schwiegen sich aus. Ebenfalls die Wolkenmassen, die über den Himmel segelten. Vögel durchkreisten die Luft. Ihre krächzenden und abgehackt klingenden Schreie begleiteten uns.
»John«, sagte Clarissa plötzlich.
»Ja, was ist?«
Sie blieb stehen. »Weiß ich nicht genau.« Dann deutete sie auf ihren Kopf. Auf ihrem Gesicht war ein misstrauischer Ausdruck zu sehen. »Ich habe etwas gehört.«
Das passte mir nicht. »Was denn?« erkundigte ich mich vorsichtig. »Eine Stimme?«
»Das musst du wissen.«
Clarissa drehte sich auf der Stelle und schaute sich dabei nach allen Seiten hin um. »Ich weiß es nicht genau, aber möglich ist es schon. Vielleicht auch ein Geräusch.«
»Warte, bis es sich wiederholt.«
»Hast du denn nichts gehört?«
»Nein, nur das Rauschen des Wassers.«
»Das ist komisch.«
Ich sagte nichts mehr. Meine Befürchtungen, dass dieser Fall noch nicht ganz beendet war, schienen sich zu bestätigen.
»Jetzt ist nichts mehr da«, sagte Clarissa.
»Okay, dann lass uns weitergehen.«
Sie war jetzt scheuer geworden. Dieser ungewöhnliche Kontakt hatte sie beeinflusst. Zwischen den Dünen
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