12 – Das Raetsel von Chail
Heiler, und er wird dir bestimmt helfen.« Dann erst schien dem Chailiden aufzugehen, was der Verletzte zuerst gesagt hatte. »Habe ich dich richtig verstanden? Du hast deine Blessuren Syrganern zu verdanken? Was hast du ihnen getan?«
»Nichts, gar nichts«, brachte Isun mühsam hervor. »Ich wollte nur mit meinen Murlen in die Stadt, weiter nichts.«
»Und deswegen haben sie dich verprügelt?«, fragte der Tuchmacher ungläubig.
»Ja. Sie sagten, dass sie weder meinesgleichen noch andere Dorfbewohner in Syrgan dulden würden, und dass ich meine Freunde warnen soll, weil es sonst jedem von ihnen so ergehen würde wie mir.«
»Das müssen Crusoks Anhänger gewesen sein.« Snowar sprang erregt auf. »Es wird schwer, geradezu unmöglich sein, etwas gegen sie zu unternehmen, denn der Meditierende genießt großes Ansehen in der Stadt.«
Nachdenklich ging er auf und ab. Auch er empfand eine deutliche Abneigung gegen die Uralten und die traditionelle Struktur der Dörfer, dennoch wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, Gewalt als Lösung des Konflikts auch nur in Erwägung zu ziehen – es gab andere Möglichkeiten. Dass viele seiner Kunden Jäger und Sammler waren und aus anderen Siedlungen kamen, spielte bei seinen Überlegungen nur eine untergeordnete Rolle. Wie allen Chailiden war Snowar Profitdenken fremd.
»Wie hast du mich überhaupt gefunden?«, fragte der Jäger.
»Ich war unterwegs, um Pflanzen, Wurzeln und Mineralien zu sammeln, die ich für meine Farben benötige«, sagte der Tuchmacher und deutete auf seinen auf der Erde liegenden, prallgefüllten Rucksack. »Die Tiere kamen mir entgegen, als ich auf dem Rückweg war, und mir fiel auf, dass das erste Murl eine seltsame Last trug. Ich führte die Murlen zu diesem Hain und bettete dich auf den Boden – das ist alles.«
Allmählich fühlte sich Isun besser. Die Schwäche klang ab, der rebellierende Magen beruhigte sich, und auch die Intensität der Schmerzen sank auf ein fast erträgliches Maß. Dennoch bereitete es ihm Höllenqualen, als er den Kopf drehte und sich umsah.
Er lag am Rand eines Wäldchens, dessen Blätterdach ihn beschattete. Obwohl er den Eindruck hatte, dass sein Kopf zu platzen drohte, richtete er sich ein wenig auf und erkannte in der Ferne Syrgan. Die Dächer der Stadt wurden durch das Licht der schon tief stehenden Sonne regelrecht vergoldet und strahlten verheißungsvoll.
Isun wandte sich ab, denn seine Erlebnisse in den letzten Stunden deckten sich keineswegs mit dem friedlichen Bild, das Syrgan aus dieser Perspektive bot. Die unterschiedlichsten Gedanken schossen ihm durch den Kopf.
»Ich muss meine Freunde warnen«, sagte er entschlossen.
»Dir muss zuerst einmal geholfen werden. Du kommst mit mir. Ich werde einen Weg durch die Felder wählen; notfalls verstecken wir uns bis zum Anbruch der Dunkelheit.«
»Zuerst muss ich die anderen informieren«, beharrte der Jäger.
»In deinem Zustand wirst du nicht weit kommen.«
»Warte es ab!« Isun rollte sich schwerfällig auf den Bauch, atmete mehrmals tief durch und stemmte sich mit den Armen hoch. Er biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Jeder Muskel schmerzte, als würde er von glühenden Nadeln durchbohrt, die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Als sich sein Blick wieder klärte, zwang er sich unter Aufbietung aller Willenskraft dazu, aus der Hocke aufzustehen.
Was ihm sonst ein leichtes war, bedeutete diesmal eine Tortur sondergleichen. Als er endlich auf den Beinen stand, schwankend wie ein Betrunkener, war seine kupferfarbene Haut schweißbedeckt, das Gesicht vor Schmerz und Anstrengung zur Fratze verzerrt. Um ihn herum drehte sich alles. Schmerzwelle auf Schmerzwelle raste durch seinen Körper; sie raubten ihm fast den Verstand.
Blut tropfte auf den Boden, da einige Wunden wieder aufgebrochen waren; sie brannten wie Feuer, als der salzige Schweiß hineinlief. Ein, zwei taumelnde Schritte brachte er zustande, dann knickten ihm die Beine weg. Mit einem ächzenden Laut brach er zusammen.
Snowar hatte vergeblich versucht, ihn aufzufangen. Er kniete neben Isun nieder und untersuchte ihn rasch. Der Chailide hatte erneut das Bewusstsein verloren.
Der Tuchmacher handelte. Mit einer kleinen, handlichen Axt, die er bei seinen Exkursionen stets mitführte, schlug er zwei stabil aussehende Äste von einem Baum ab und befreite sie von Zweigen und Laub. Seinem Rucksack entnahm er einige Lederschnüre, fertigte daraus Halteschlaufen an und legte sie den Murlen
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