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12 - Im Auge des Tigers

12 - Im Auge des Tigers

Titel: 12 - Im Auge des Tigers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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hätte er als Deutscher durchgehen können. An der nächsten Haltestelle stieg er in eine Straßenbahn, die mit unbekanntem Ziel in östlicher Richtung davonfuhr.
    »Was meinst du, was hat er vor?«, fragte Dominic seinen Bruder.
    »Wahrscheinlich ist er unterwegs zu einem Freund, um mit ihm zu frühstücken oder den Untergang des ungläubigen Westens zu planen – keine Ahnung, Mann, ich bin kein Hellseher.«
    »Stimmt. Wäre schön, gescheite Hintergrundinformatio-nen über ihn zu haben. Aber wir stellen hier ja keine Ermittlungen an. Dieser Drecksack hat mindestens einen Killer rekrutiert. Er hat sich seinen Platz auf unserer Liste verdient, Aldo.«
    »Allerdings«, pflichtete Brian seinem Bruder bei. Inzwischen hatte er sämtliche Skrupel über Bord geworfen. Anas Ali Atef war nur noch ein Gesicht für ihn – und ein Arsch, den er mit seinem Zauberstift pieksen würde. Alles Übrige würde der Kerl bald mit seinem Schöpfer persönlich klären können.
    »Wenn das hier ein FBI-Einsatz wäre, würde jetzt gerade ein Team in seine Wohnung eindringen, um sich zumindest seinen Computer vorzunehmen.«
    Das leuchtete Brian ein. »Und wie sollen wir jetzt weitermachen?«
    »Wir beobachten ihn, und falls er in die Moschee geht, kundschaften wir aus, ob die Möglichkeit besteht, ihn beim Rein- oder Rausgehen umzulegen.«
    »Meinst du nicht, es ist noch ein bisschen früh?«, fragte Brian.
    »Wir könnten natürlich auch im Hotel rumhängen und uns auf dem Zimmer einen runterholen. Mit der Zeit geht das aber ziemlich auf die Handgelenke.«
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    »Stimmt auch wieder.«
    Als sie mit dem Frühstück fertig waren und zahlten, hielten sie sich mit dem Trinkgeld etwas zurück, um sich nicht als Amerikaner zu outen.
    Die Straßenbahn war zwar nicht so bequem wie sein Auto, aber erheblich praktischer, denn auf diese Weise ersparte er sich die lästige Parkplatzsuche. Die meisten europäischen Städte waren zu einer Zeit entstanden, in der man an das Parken von Autos noch keinen Gedanken verschwendet hatte. Das galt natürlich auch für Kairo, wo das Verkehrs-chaos manchmal unglaubliche Ausmaße annahm – viel schlimmere als hier –, aber in Deutschland gab es wenigstens zuverlässige öffentliche Verkehrsmittel. Die Züge hier waren fantastisch, und die Qualität der Gleise beeindruckte den Mann, der erst wenige Jahre zuvor sein Ingenieursstudium abgeschlossen hatte. Lag das wirklich nur ein paar Jahre zurück?, fragte er sich, denn die Zeit, die dazwischen lag, kam ihm vor wie ein ganzes Leben. Die Deutschen waren ein eigenartiges Volk, distanziert und förmlich. Anderen Völkern fühlten sie sich haushoch überlegen. Sie blickten auf die Araber herab – auch auf die meisten anderen Europäer – und öffneten nur deshalb ihre Grenzen für Ausländer, weil es in ihrer Verfassung stand, die ihnen vor 60
    Jahren, nach dem Zweiten Weltkrieg, von den Amerikanern vorgeschrieben worden war. Diese Verrückten befolgten das Gesetz, als wäre es ihnen von Gott persönlich diktiert worden. Sie waren die obrigkeitsgläubigsten Menschen, denen er je begegnet war, aber unter der Oberfläche der Folgsamkeit schwelte eine Gewaltbereitschaft – eine Bereitschaft zu organisierter Gewalt –, wie sie auf der Welt nahezu einzigartig war. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatten sie versucht, die Juden auszurotten.
    Vier Mal hatten die Juden sein Land gedemütigt und dabei auf der Sinai-Halbinsel seinen ältesten Bruder Ibrahim getötet, der einen sowjetischen T-62 Panzer fuhr. Er konnte 494

    sich nicht an Ibrahim erinnern. Er war damals noch viel zu klein gewesen und kannte seinen Bruder nur noch von Fotos. Aber seine Mutter beweinte Ibrahims Andenken noch immer. Er war bei dem Versuch gestorben, das zu Ende zu bringen, was diese Deutschen begonnen hatten, und war bei der Schlacht an der Chinese Farm vom Geschoss eines amerikanischen M60A1 Kampfpanzers getötet worden. Es waren die Amerikaner, die die Juden beschützten. Amerika wurde von Juden regiert. Aus diesem Grund lieferten sie seinen Feinden Waffen, versorgten sie mit Geheimdienstinformationen und töteten mit Vorliebe Araber.
    Der Umstand, dass die Deutschen nicht in der Lage gewesen waren, ihr Ziel zu erreichen, tat ihrer Arroganz keinen Abbruch. Er lenkte sie nur in eine andere Richtung. Er, Anas, konnte es an den verstohlenen Seitenblicken in der Straßenbahn sehen, an der Art, wie alte Frauen von ihm abrückten. Wahrscheinlich wischt jemand die Haltestange mit Desinfektionsmittel

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