12 - Im Auge des Tigers
und schließlich bestürzt. Er wälzte seinen auf dem Boden liegenden Freund auf den Rücken und redete laut auf ihn ein.
Etwa in diesem Moment ging Brian an ihnen vorbei. Atefs Gesicht war ausdruckslos und unbewegt wie das einer Puppe. Sein Gehirn war noch voll funktionstüchtig, aber er konnte nicht einmal die Augen aufschlagen. Brian blieb etwa eine Minute lang neben ihm stehen, dann ging er weiter, ohne sich umzusehen. Er bedeutete jedoch einem deutschen Passanten, Hilfe zu holen, was der Deutsche auch tat, indem er in seine Jackentasche langte und ein Handy her-vorholte. Wahrscheinlich rief er einen Krankenwagen. Brian ging zur nächsten Kreuzung und drehte sich um. Zwischendurch sah er immer wieder auf die Uhr. Der Krankenwagen traf nach sechseinhalb Minuten ein. Die Deutschen waren wirklich auf Zack. Einer der Rettungssanitäter prüfte den Puls, bevor er zunächst überrascht, dann besorgt aufblickte. Auf sein Kommando hin holte sein Kollege einen Koffer aus dem Wagen, und Brian beobachtete, wie Atef intubiert und an ein Beatmungsgerät angeschlossen wurde.
Die zwei Rettungssanitäter waren gut ausgebildet. Da saß wirklich jeder Handgriff. Atefs Zustand war zu ernst, als dass sie ihn hätten transportieren können, und deshalb behandelten sie ihn, so gut es ging, auf dem Gehsteig.
Brian stellte fest, dass zehn Minuten vergangen waren, seit Atef zu Boden ging. Atef war bereits hirntot, und damit 500
war der Fall erledigt. Der Marine wandte sich nach links und nahm sich an der nächsten Straßenecke ein Taxi zum Hotel. Er konnte den Namen zwar nicht richtig aussprechen, aber der Taxifahrer verstand ihn trotzdem. Als er eintraf, wartete Dominic bereits im Foyer auf ihn. Gemeinsam gingen sie in die Bar.
Wenn es etwas Gutes daran gab, jemanden umzulegen, der gerade vom Gottesdienst kam, war es vermutlich die Vorstellung, dass er nicht in der Hölle landete. Zumindest eine Sache weniger, die ihr Gewissen belastete. Und das Bier tat ein Übriges.
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Kapitel 20
Jagdfieber
14.26 Uhr in München entsprach 8.26 Uhr Eastern Standard Time im Campus. Sam Granger war schon früh in seinem Büro und fragte sich, ob er wohl bereits eine E-Mail hätte.
Die Zwillinge arbeiteten schnell. Nicht überstürzt, aber zweifellos machten sie sich die Technologie zunutze, die ihnen zur Verfügung stand, und vergeudeten dabei nicht die Zeit und das Geld des Campus. Granger hatte bereits eine Zielperson Nr. 3 ausgewählt, deren Daten, selbstverständlich verschlüsselt, jeden Moment übers Internet raus-gehen würden. Im Gegensatz zu bin Sali in London konnte er in diesem Fall nicht mit eine› ›offiziellen‹ Todesnachricht durch das deutsche Bundeskriminalamt rechnen, denn dieses hatte bisher wohl kaum Notiz von Anas Ali Atef genommen. Sein Tod wäre, wenn überhaupt, eher Sache der Münchener Polizei, aber höchstwahrscheinlich war Atef nur ein Fall für das örtliche gerichtsmedizinische Institut – einer von zahlreichen letalen Herzinfarkten in einem Land, in dem zu viele Bürger rauchten und sich fettreich ernährten.
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Um 8.43 Uhr kam die Nachricht von Dominics Computer.
Sie enthielt eine erstaunlich ausführliche Schilderung des erfolgreich verlaufenen Anschlags – fast wie ein Ermitt-lungsbericht für das FBI. Atef war in Begleitung eines Freundes gewesen – vermutlich ein glücklicher Umstand.
Dass ein Feind Zeuge des Anschlags geworden war, bedeutete vermutlich, dass keine Zweifel am Ableben der Zielperson aufkommen würden. Auch wenn es mit gewissen Schwierigkeiten verbunden wäre, musste der Campus alles versuchen, um an den offiziellen Bericht über Atefs Tod heranzukommen – nur um ganz sicher zu gehen.
Ryan und Wills eine Etage tiefer wussten natürlich nichts darüber. Jack ging routinemäßig den Nachrichtenverkehr zwischen den amerikanischen Geheimdiensten durch – was über eine Stunde in Anspruch nahm –, ehe er sich der via Internet abgewickelten Korrespondenz nachweislicher und mutmaßlicher Terroristen widmete. Die überwältigende Mehrheit der Nachrichten war so nichtssagend wie die E-Mails zwischen Eheleuten, in denen einer den anderen beauftragte, nach der Arbeit auf dem Heimweg noch etwas im Supermarkt einzukaufen. Bei einigen dieser Mails konnte es sich durchaus um verschlüsselte Nachrichten von großer Bedeutung handeln, aber ohne ein Entschlüsselungsprogramm oder einen so genannten Rasterzettel ließ sich das nicht herausfinden. Mindestens ein Terrorist hatte die Wendung
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