12 - Im Schatten des Grossherrn 01 - Durch Wüste und Harem
Ghollaten, Rewafidhiten, Muatazileten, Wachabiten, Araber, Juden, Türken, Armenier, Syrer, Drusen, Maroniten, Kurden, Perser, Turkmenen: – ein Angehöriger dieser Nationen, Stämme und Sekten kann einem bei jedem Schritt begegnen, und wer kennt die Fehler und Verstöße, welche ein Fremder bei einer solchen Gelegenheit begehen kann! Diese Berge rauchen noch heute von dem Blut derjenigen, welche dem Völkerhaß, dem wildesten Fanatismus, der Eroberungssucht, der politischen Treulosigkeit, der Raublust oder der Blutrache zum Opfer fielen. Hier hängen die menschlichen Wohnungen an den Felsenhöhlen und Steinklüften, wie die Horste des Geiers, der stets bereit ist, sich auf die ahnungslose Beute niederzustürzen. Hier hat das System der Unterdrückung, der rücksichtslosen Aussaugung jene ingrimmige Verbitterung erzeugt, welche kaum noch zwischen Freund und Feind unterscheiden mag, und das Wort der versöhnenden Liebe, welches von den christlichen Sendboten gepredigt würde, es ist in alle Winde verschollen. Mögen amerikanische Missionare von Erfolgen reden: der Acker ist nicht zubereitet, das Senfkorn aufzunehmen. Mögen andere Gottesmänner alles tun und wagen: – in den kurdischen Bergen fließen die feindseligsten Strömungen zu einem wilden Strudel zusammen, der erst dann zur Ruhe kommen kann, wenn es einer gewaltigen Faust gelingt, die Klippen zu zermalmen, den Haß zu bezwingen und dem häßlichen, leise schleichenden Blutschacher den Kopf zu zertreten. Dann werden die Wege frei sein für die Füße derjenigen, welche ‚den Frieden predigen und das Heil verkünden‘. Dann wird kein Bewohner jener Berge mehr sagen können: „Ich bin ein Christ geworden, weil ich sonst von dem Agha die Bastonade erhalten hätte.“ Und dieser Agha war – ein strenger Mohammedaner.
Der Berg rückte mir näher und näher, oder vielmehr ich ihm. Der Boden war zwar leicht und feucht, aber es gab nur wenige Stellen, an denen die Hufe meines Pferdes beträchtlich eingesunken wären, und endlich kam trockenes Land. Die Fiebergegend des Tigris lag hinter mir. Jetzt sah ich rechts von mir einen Reiter und erkannte sehr bald Halef, mit dem ich mich in kurzer Zeit vereinigte.
„Ist dir jemand begegnet?“ fragte ich ihn.
„Nein, Sihdi.“
„Es hat dich jemand gesehen?“
„Kein Mensch. Nur weit im Süden sah ich auf dem Weg, den wir verlassen haben, einen kleinen Menschen laufen, der ein Tier hinter sich herzog. Ich konnte ihn aber nicht genau erkennen.“
„Kannst du den dort erkennen?“ fragte ich, nach Norden deutend.
„O Sihdi, das ist kein anderer als der Scheik!“
„Ja, es ist Mohammed Emin. In zehn Minuten wird er bei uns sein.“
So war es auch. Er erkannte uns und ritt in Eile herbei.
„Was nun, Effendi?“ fragte er mich.
„Das wird sich ganz nach dem richten, was du erfahren hast. Bist du vielleicht bemerkt worden?“
„Nein. Nur ein Schäfer trieb in weiter Entfernung seine Herde an mir vorüber.“
„Wie wurdest du gefangen?“
„Du hattest mich nach den Ruinen von Khorsabad bestellt. Bis heute morgen verbarg ich mich in dem südlichen Teil derselben, dann aber postierte ich mich dem Weg näher, um dich kommen zu sehen. Hier wurde ich von den Soldaten gesehen und umzingelt. Ich konnte mich nicht wehren, weil es ihrer zu viele waren, und weshalb sie mich gefangen nahmen, das weiß ich nicht.“
„Fragten sie dich nach deinem Stamm und deinem Namen?“
„Ja; aber ich habe sie falsch berichtet.“
„Diese Leute sind unerfahren. Ein Araber hätte dich an deiner Tätowierung erkannt. Sie nahmen dich gefangen, weil in den Ruinen von Kufjundschik die Truppen des Pascha liegen, welche bestimmt sind, gegen die Schammar zu ziehen.“
Er erschrak und hielt sein Pferd an.
„Gegen die Schammar? Allah helfe uns; da muß ich sofort umkehren!“
„Das ist nicht nötig. Ich kenne den Plan des Gouverneur.“
„Welches ist dieser Plan?“
„Der Zug gegen die Schammar ist für jetzt nur eine Maske. Der Mutessarif will zunächst die Dschesidi überfallen. Diese sollen das nicht ahnen, und daher gibt er vor, gegen die Schammar ziehen zu wollen.“
„Weißt du dies genau?“
„Ganz genau, denn ich habe mit ihm selbst gesprochen. Ich soll zurückkommen und ihm die Weideplätze der Schammar auskundschaften.“
„Aber wenn er mit den Dschesidi nicht so schnell fertig wird, so benutzt er sicher die Gelegenheit, sein Heer sofort auch gegen die Schammar zu schicken.“
„Er wird mit den
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