12 Stephanie Plum: Kalt erwischt (Twelve Sharp)
vollends, ersetzt durch Stimmen.
Das verschwommene Gesicht von Morelli nahm Kontur an. Er sah besorgt aus. »Ist dir was passiert?«, fragte er. »Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet, und auf einmal bist du zusammengebrochen.«
»Ich glaube, Scrog hat mich mit einer Elektroschockpistole niedergemacht. Hast du ihn gesehen?«
»Ich habe gesehen, dass du etwas zu dem Mann hinter dir gesagt hast. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen. Von hinten jedenfalls erinnerte er überhaupt nicht an Ranger. Die Hautfarbe kommt ungefähr hin, aber Haare, Figur und Kleidung waren völlig anders. Tank stand zwei Plätze neben dir, und er hat Scrog auch nicht gesehen.«
Morelli schlang einen Arm um meine Taille und half mir auf die Beine. Die Gaffer um mich herum hielt man zurück. Gerade war ein Sanitäter eingetroffen und stand mir zur Seite.
»Danke«, sagte ich zu ihm. »Es geht schon wieder.«
»Wir hatten an allen Ausgängen jemanden postiert«, sagte Morelli. »In dem Moment, als du zusammengebrochen bist, war das Gebäude praktisch abgeriegelt. Wir lassen die Leute nur einzeln heraus. Kannst du dich an irgendetwas erinnern?
Was er zum Beispiel anhatte?«
»Da habe ich nicht drauf geachtet, jedenfalls war seine Kleidung nicht schwarz. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, es wäre Ranger. Ich glaube, es lag an der Gesichtsform, an der Hautfarbe und der Frisur, von vorne gesehen. Der Mann ist kleiner als Ranger. Von Nahem betrachtet, sind seine Augen und sein Mund natürlich anders.«
»Ich übergebe dich an Tank«, sagte Morelli. »Er bringt dich nach Hause. Ich bleibe hier, bis das Gebäude geräumt ist und wir mit der Durchsuchung beginnen können. Das dürfte nicht allzu lange dauern. Die treiben die Leute ja förmlich aus dem Haus. Siebzig Prozent der Besucher sind Frauen.«
Tank saß in meinem Wohnzimmer, ihm war sichtlich unwohl. Ranger hatte ihn angewiesen, mich keine Sekunde allein zu lassen, und ich fürchtete, dass er mir sogar bis aufs Klo folgen würde. Im Fernsehen lief ein Baseballspiel, aber Tank sah sich ständig nervös nach mir um, als könnte ich mich urplötzlich in Luft auflösen. Auf der Fahrt zu mir hatte ich ihn gebeten, an einem Laden anzuhalten, und ich hatte mich mit einer Wochenration Trostfutter eingedeckt: Tastykakes, Cheez Doodles, Schokoriegel, Suzy Qs, Chips. Gerade hatte ich angefangen, mich bis zum Grund der Tüte vorzufressen, als Morelli und Bob kamen, gefolgt von Ranger.
Zwischen Ranger und Tank setzte irgendeine stille Kommunikation ein, worauf Tank aufstand und ging, ohne ein Wort zu sagen.
Ranger warf die Schlüssel auf den Küchentresen, schnallte seine Waffe ab und legte sie neben die Schlüssel. Morelli machte das Gleiche. Auf den ersten Blick hatte es den Anschein, als wären sie hier bei mir zu Hause in Sicherheit, entspannt und unbewaffnet, aber ich wusste, dass sie beide noch eine Pistole um ein Fußgelenk geschnallt hatten. Ranger trug außerdem immer noch ein Messer am Gürtel.
Keiner sagte etwas, beide hatten ihr Bullengesicht aufgesetzt: misstrauisch, undurchdringlich. Schwer zu übersehen, dass die beiden miese Laune hatten.
»Was ist bei der Durchsuchung herausgekommen?«, fragte ich.
»Wir haben ihn nicht gekriegt. Wahrscheinlich ist er hinten durch ein Fenster entkommen«, sagte Morelli.
Ich wiederholte noch mal meine kurze Unterhaltung mit Scrog. Kein Kommentar. Morelli stellte eine Schüssel Wasser für Bob auf den Boden, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und lümmelte sich vor den Fernseher. Ranger setzte sich an den Computer. Ich blieb in der Küche und stopfte mich mit Butterscotch Krimpets voll.
Mir fehlte jede Fantasie, mir vorzustellen, was jetzt hier abgehen sollte. Ich hatte ein Bett und ein Sofa. Das reichte nicht für uns drei. Selbst wenn wir das Schlafarrangement geklärt hätten, konnte ich unmöglich mit beiden Männern unter einem Dach leben.
»Das ist mir zu blöd«, sagte ich. »Ich gehe jetzt ins Bett. Und die Tür schließe ich hinter mir ab.«
Die beiden horchten auf und sahen mich an. Jeder wusste, dass eine verschlossene Tür kein Hindernis darstellte. Morelli und Ranger kamen überall rein. Ich stieß einen Seufzer aus und schloss die Schlafzimmertür hinter mir.
Dann holte ich meine Reisetasche aus dem Kleiderschrank, stopfte Kleider und Kosmetik hinein, öffnete leise das Schlafzimmerfenster und kletterte auf den Absatz der Feuertreppe. Ich warf die Reisetasche und meine Umhängetasche auf den Boden, ließ
Weitere Kostenlose Bücher