12 Stunden Angst
ansah. »Was würdest du tun, wenn ich so einen Unfall hätte? Wenn ich heute gesund und munter bin und morgen tot? Aus heiterem Himmel?«
»Sprich nicht so«, ermahnte sie ihn. Sie wollte nicht, dass seine morbiden Gedanken tiefer gingen.
»Nun, finanziell gäbe es keine Probleme. Ich habe dieses Jahr meinen Nachlass vergrößert.«
»Danke für die Information«, sagte Laurel verlegen. »Es wäre ein furchtbarer Schlag für die Kinder. Ich will gar nicht darüber nachdenken.«
Warren nickte abwesend. »Trotzdem. Der Tod ist ein Teil des Lebens. Ich begegne ihm Tag für Tag. Jeden Monat sterben in dieser Stadt Männer, die noch jünger sind als Jimmy. Und Kinder.Trotzdem. Ich mache mir Sorgen wegen dir. Würdest du zurechtkommen? Wärst du imstande, dir ohne mich ein neues Leben aufzubauen?«
Gütiger Gott. Laurel schloss die Augen, war kaum mehr imstande, die Täuschung aufrechtzuerhalten. Doch jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, ihm zu sagen, dass sie ihn verlassen würde. Warren war der Meinung, dass Untreue ein schwerer Betrug sei, nicht nur des Ehepartners, sondern der gesamten Familie. Und Laurel hatte ihn noch nie so emotional gesehen wie an jenem Abend. Nein, das Gespräch würde warten müssen.
»Ich gehe duschen«, sagte sie hilflos, während sie sich fragte, warum Warren ausgerechnet diesen Abend auserwählt hatte, ihr sein Herz auszuschütten. Es war das erste Mal; dass er es noch nie zuvor getan hatte, war einer der Gründe für ihre ehelichen Probleme – vielleicht sogar der entscheidende Grund. Aufgeregt und wütend ging sie ins Badezimmer. Das Display ihres geheimen Handys zeigte eine eingegangene SMS von Danny: SAG NICHTS! ICH Erkläre Dir Alles Morgen!
Am nächsten Tag trafen sie sich im Wald in der Nähe von Dannys Haus. Als Laurel die kleine Lichtung erreichte, sah sie Danny nervös auf und ab gehen. Er schien die ganze Nacht kein Auge zugetan zu haben. Sie fragte ihn, ob er am Abend vorher mit Starlette gesprochen habe, und setzte zu einer Erklärung an, warum sie selbst es Warren noch nicht gesagt hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass Danny verärgert reagierte; stattdessen sah er erleichtert aus und erklärte, er könne sich doch nicht von Starlette scheiden lassen. Der Grund sei ganz einfach: sein Sohn. Er habe bereits mit einem Anwalt gesprochen, und dieser habe das düstere Bild bestätigt, das Starlette gemalt hatte: Danny würde lediglich eingeschränktes Besuchsrecht erhalten. Laurel wusste, dass Starlette durchaus imstande war, ihre Drohungen wahr zu machen.
Und die Ironie bei alledem: Laurel verkörperte Dannys beste Chance, einen Richter davon zu überzeugen, dass er, Danny, die wichtigste Bezugsperson Michaels war – und ihre Aussage wurde in dem Augenblick nutzlos, in dem sie als seine Geliebtebloßgestellt wurde, was bei jeder noch so stümperhaften Ermittlung der Fall sein würde.
Elf Monate Träume hatten sich binnen weniger Sekunden verflüchtigt. Sie hatte Danny alles gegeben – oder fast alles – und ihm den Rest bereits versprochen, und doch wies er sie nun zurück. Er hatte zwar einen stichhaltigen Grund dafür genannt, doch es erschien Laurel dennoch unfair. Wie war es möglich, dass sich all seine Versprechungen angesichts der Selbstsucht seiner Frau in Luft auflösten? Laurel hatte fünfunddreißig Jahre lang auf die wahre Liebe gewartet, und nun musste sie hilflos zusehen, wie sie sich verflüchtigte wie Rauch. Es schien, als wollte das Schicksal sich über sie lustig machen; erst zeigte es ihr, was möglich war, um es anschließend im letzten Moment vor ihrer Nase wegzureißen.
Ihr kam ein beängstigender Gedanke.
Was, wenn sie Warren gesagt hätte, dass sie ihn verlassen würde – nur um heute zu erfahren, dass Danny gekniffen hatte? Laurel fühlte sich wie jemand, der um ein Haar ohne Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen wäre. Als Danny sie an sich zu ziehen versuchte, um sie zu umarmen, stieß sie ihn von sich weg. Wenn sie nicht alles haben konnte, so hatte sie beschlossen, wollte sie überhaupt nichts …
Ein Knarren draußen auf dem Flur riss Laurel aus ihren Gedanken und ließ sie erstarren. Das Fahrradkabel um ihren Hals schnürte ihr die Luft ab. Die Tür zum Gästezimmer öffnete sich so leise und langsam wie in einem Horrorfilm.
Warren starrte sie an. In seinen Augen lag ein Ausdruck, bei dem Laurel das Blut in den Adern gefror. Warren trug einen Stapel Kartons unter dem Arm, die er nun auf Laurel warf. Als sie
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