12 - Tod Bei Vollmond
gedrungen. In diesem Königreich erwähnt man häufig deinen Namen.« Seine charmanten Äußerungen stießen Fidelma sofort ab. Der Tanist fuhr jedoch unbeirrt fort. Eadulfs abschätzigen Blick bemerkte er offenbar nicht. »Du erweist uns eine große Ehre mit deinem Besuch.«
»Es ist wohl kaum eine Ehre, von so traurigen Verbrechen hierhergeführt zu werden, Nachfolger des Herrschers der Cinél na Áeda«, erwiderte Fidelma ruhig, wobei sie den jungen Mann neugierig musterte. Sein Gesicht wirkte wie eine je nach Anlaß wandelbare Maske. Sie mißtraute jedem, der Gefühle so spielerisch äußern und sie gleich wieder ablegen konnte, hielt ihn für eitel und selbstgefällig. »Mein Gefährte Eadulf ist gut vertraut mit den Gesetzen, und er ist auch mein fer comtha. «
Obwohl Accobrán diese Auskunft über ihre eheähnliche Beziehung zu dem Angelsachsen sicher erstaunte, zeigte er sich sehr respektvoll.
»Ich werde euch Gästezimmer und ein warmes Bad richten lassen«, murmelte er. »Entschuldigt mich.« Er verschwand in dem Gebäudeteil der Festung, in dem sich Beccs private Gemächer befanden.
»Mein Nachfolger ist jung, Cousine. Erst vor einem Jahr ist er in dieses Amt gewählt worden. Daher ist sein Verhalten, was die Formen betrifft, noch nicht sonderlich ausgefeilt. Wenn er mich einst ersetzen und das Schicksal der Cinél na Áeda lenken muß, wird er hoffentlich besonnener reagieren.«
»Du mußt dich nicht entschuldigen«, meinte Fidelma leise, denn sie war überrascht, daß ihre Reaktion so deutlich gewesen war.
Der alte Fürst lächelte rasch.
»Ich will es nur erklären, nicht entschuldigen«, erwiderte er ruhig. »Und nun tretet in meine Halle und nehmt eine Erfrischung zu euch, während eure Räume vorbereitet werden.«
Sie folgten ihm in die Halle, die nicht übermäßig groß war. Ein Feuer prasselte, und der Wein war schon wohltuend warm. Sie nahmen vor dem Feuer Platz. Ein paar Bedienstete trugen ihre Taschen herein, während andere die Pferde versorgten.
»Wann werdet ihr mit der Untersuchung anfangen?« fragte Becc, nachdem er die nötigen Befehle erteilt hatte, der Glühwein gereicht war und sich Accobrán mit der Mitteilung zu ihnen gesellt hatte, daß in einer Stunde das Bad fertig sein würde.
Fidelma genoß den warmen Wein.
»Ich werde sofort anfangen«, antwortete sie zur Überraschung aller Anwesenden.
»Aber es ist doch schon dunkel …«, warf Becc ein.
»Ich meine damit, daß ich gleich etwas über den Hintergrund der Opfer wissen will«, erwiderte sie geduldig. »Wer waren die Mädchen?«
Becc runzelte die Stirn und blickte Accobrán an, dann wandte er sich wieder Fidelma zu.
»Ich weiß kaum mehr, als ich bereits gesagt habe. Ich könnte Lesren, den Gerber, und Seachlann, den Müller, morgen herholen lassen.«
»Das sind die Väter von Beccnat und Escrach, den ersten beiden Opfern«, fügte Accobrán hinzu.
»Ich würde sie lieber dort aufsuchen, wo sie wohnen und arbeiten«, entgegnete Fidelma rasch. »Ich hatte gehofft, daß du mir weiterhelfen könntest.«
Accobrán wirkte erstaunt. »Ich bin nicht sicher, ob ich …«
»Komm schon, Accobrán. Du bist ein junger Mann und kennst gewiß die meisten jungen Mädchen in dieser Gegend, oder?«
Der Tanist rang sich ein Lächeln ab. »Das hängt davon ab, welche Auskünfte du benötigst.«
»Nun, fangen wir mit dem ersten Opfer an, Beccnat. Das war die Tochter des Gerbers Lesren?«
»Ja. Lesren arbeitet auf der anderen Seite des Hügels, in dem Tal am Fluß.«
»Was weißt du von ihr? War sie hübsch?«
»Sie war jung, gerade siebzehn, und sollte bald Golls Sohn heiraten. Goll ist der Holzfäller hier.«
»Das stimmt«, warf Becc nun ein. »Lesren mochte den Jungen nicht, Golls Sohn, das heißt – zuerst hielt man ihn sogar für den Mörder. Also vielmehr Lesren tat das, er beschuldigte den Jungen.«
»Wie heißt er?«
»Golls Sohn? Er heißt Gabrán.«
»Und du sagst, daß man ihn verdächtigt hat? Welche Beweise haben ihn denn von dem Verdacht befreit?«
»Höchstwahrscheinlich verdächtigt Lesren ihn immer noch«, meinte Accobrán. »Doch Gabrán hat ein hieb- und stichfestes Alibi. Er war nicht hier im Dorf, sondern unterwegs, um Arbeitsgeräte einzukaufen. Bei Vollmond befand er sich zwölf Meilen von hier entfernt, im Kloster Molaga an der Küste.«
»Ich kenne das Kloster Molaga.« Fidelma nickte. »Wie wurde Beccnat umgebracht?«
»Wie ich schon sagte«, fuhr jetzt Becc fort, »ihre Leiche wurde im Wald,
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