12 - Tod Bei Vollmond
uns gibt es mehrere untergeordnete Richter, doch niemand verfügt über genügend Erfahrung, daß man ihn zum obersten Brehon ernennen könnte. Ehe sich jemand für das Amt findet, fehlt uns das Urteilsvermögen eines erfahrenen Richters.«
Fidelma stieß einen Seufzer aus. Jetzt wurde ihr klar, was sich hinter Beccs Besuch in Cashel verbarg.
»Aolú hat wohl noch die beiden ersten Mordfälle untersucht?«
»Ja.«
»Gibt es irgendwelche Hinweise auf einen Täter?«
Becc hob die Schultern und ließ sie bedeutungsschwer wieder fallen. »Keine, die Aolú weiterer Nachforschungen für wert befunden hätte. Mein Nachfolger Accobrán erledigte für Aolú einige Dinge, da der zu dem Zeitpunkt schon recht schwach war und sich nicht mehr aus der Burg hinausbewegen konnte. Doch Accobrán brachte nichts Wichtiges in Erfahrung. Und Verdächtige …« Auf einmal wurde er ganz ernst.
Fidelma bemerkte das, und ihre Augen verengten sich. »Du wirkst besorgt, Cousin. Gibt es einen Verdächtigen?«
Becc zögerte einen Moment. Dann machte er eine hilflose Geste. »Deshalb bin ich hier, Fidelma, und es ist dringend. Vor dem Tor zur Abtei des heiligen Finnbarr ist es zum Aufruhr gekommen. Ich mußte mit meinen Kriegern die Mönche vor einem Angriff schützen. Und ich mußte ein Exempel statuieren und einen Mann verwunden, damit es nicht zu dem Übergriff und der Zerstörung der Klostergemeinschaft kam.«
»Der Klostergemeinschaft? Der Abtei?« Fidelma konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Warum? Willst du damit sagen, daß man die Mönche der Morde verdächtigt?«
»Nicht die Brüder selbst. Brocc, der mit seinem Bruder in unserer Mühle arbeitet und mit zwei der Ermordeten verwandt war, hat vielen unserer Leute eingeredet, daß die Fremden, die sich in der Abtei aufhalten, für die Morde verantwortlich sind.«
»Welche Beweise hat er dafür?«
»Ich fürchte, nur sein eigenes Vorurteil. Die Fremden trafen erst kurz vor dem ersten Mord in der Abtei ein, deren Gastfreundschaft sie seitdem genießen. Da so etwas hier noch nie geschehen ist, meint Brocc nun, die grausigen Morde seien zweifellos das Werk jener Gäste. Da wurden die Leute mißtrauisch. Brocc versuchte, sie zum Sturm auf die Abtei zu bewegen, um sich der Fremden zu bemächtigen. Wäre es dazu gekommen, hätte man sie gewiß umgebracht und die Mönche ebenso angegriffen.« Beccs Gesicht verfinsterte sich, er zuckte mit den Schultern. »Ich habe Brocc dreimal gewarnt, nicht gegen das Gesetz zu verstoßen, und ihm mit den Folgen gedroht. Als er sich immer noch weigerte, nach Hause zu gehen, traf ihn mein Pfeil im Oberschenkel. Das brachte die Leute zur Besinnung.«
Eadulf schaute ernst auf.
»Das kann ich mir vorstellen. Eine drastische, aber wirksame Maßnahme«, sagte er anerkennend.
»Und diese Fremden stehen unter dem Schutz der Abtei?« fragte Fidelma. »Hat man sie darüber unterrichtet?«
»Ja, die Ortsansässigen wissen Bescheid. Die Fremden genießen die vom Gesetz vorgeschriebene Gastfreundschaft und außerdem den besonderen Schutz der heiligen Stätte, eine Regel, die der neue Glaube übernommen hat.«
»Besteht nicht die Gefahr eines erneuten Übergriffs während deiner Abwesenheit?« erkundigte sich Eadulf.
»Brocc, der Hauptunruhestifter, wird so schnell nicht wieder auf die Beine kommen.« Becc lächelte düster. »Außerdem hat der Tanist Accobrán die Befehlsgewalt übernommen. Er wird die Abtei und deren Gäste beschützen.«
»Seid ihr, Abt Brogán und du, von der Unschuld der Fremden überzeugt?« fragte Fidelma.
»Wir wissen nur, daß wir Fremde aufgrund eines Verdachts und ohne Beweise nicht bestrafen können. Zur Klärung der Tatvorgänge fehlt uns ein erfahrener Brehon.«
Nun herrschte Schweigen, und Fidelma lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie stieß einen langen Seufzer aus.
»Ich bin nur ein Brehon auf unterster Stufe. Als eine dálaigh oder Anwältin besitze ich nur den Grad einer anruth . Ihr braucht einen ollamh des Gesetzes. Ich vermute, daß ihr unter den Cinél na Áeda qualifiziertere Brehons habt, als ich es bin.«
»Aber niemanden von deinem Ruf, Cousine«, erwiderte Becc sofort.
»Was erwartet ihr von mir?«
Becc schwieg kurz, dann räusperte er sich nervös.
»Erwarten? Wir erwarten nichts, Fidelma von Cashel. Doch ich würde dich gern um etwas bitten. Könntest du nach Rath Raithlen kommen, natürlich in Begleitung von Bruder Eadulf, und Licht in das Dunkel bringen?«
Eadulf sah Fidelma an. Von Anfang an
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