12 - Wer die Wahrheit sucht
wird die Story bringen. Damit könnten wir vielleicht ein, zwei Steuerflüchtlinge für eine Spende gewinnen. Aber ob uns ein Artikel in der Zeitung genug Geld bringt... ich glaube, darauf können wir uns nicht verlassen, Dad. Und selbst wenn wir könnten, würde es Jahre dauern, bis wir das Geld beisammen hätten.« Er sagte nicht, dass sein Vater mit zweiundneunzig Jahren diese Zeit nicht mehr hatte.
Graham sagte: »Ich ruf sie selber an. Sie werden schon kommen. Das wird sie interessieren, ganz bestimmt. Wenn sie erst mal wissen, worum es geht, werden sie angerannt kommen.« Er ging sogar drei wacklige Schritte bis zum Telefon und hob ab, als wollte er auf der Stelle telefonieren.
»Dad, wir können nicht erwarten, dass die Story für die Zeitung dieselbe Wichtigkeit besitzt wie für uns«, sagte Frank. »Bringen werden sie sie wahrscheinlich, sie ist ja von menschlichem Interesse. Aber du solltest dir lieber keine allzu großen Hoffnungen -«
»Es ist Zeit«, beharrte Graham, als hätte Frank nichts gesagt. »Ich habe es mir vorgenommen. Vor meinem Tod erledige ich das noch. Das hab ich mir geschworen. Die einen haben die Treue gehalten, die anderen nicht. Und die Zeit ist gekommen. Bevor ich sterbe, Frank.« Er kramte in einigen Zeitschriften, die auf der Arbeitsplatte unter der angesammelten Post der letzten Tage lagen. »Wo ist das Telefonbuch?«, fragte er. »Was für eine Nummer haben die, Junge? Komm, lass uns anrufen.«
Aber Frank ging die Wendung von Treue und Treubruch im Kopf herum und die Frage, was sein Vater tatsächlich damit meinte. Es gab im Leben tausend verschiedene Arten der Treue und des Treubruchs, aber im Krieg, unter feindlicher Besatzung, gab es nur eine. Er sagte vorsichtig: »Dad, ich glaube nicht.« Mein Gott, wie sollte er seinen Vater von dieser unbesonnenen Reaktion abbringen? »Hör zu, Dad, das ist keine gute Art, das anzupacken. Und es ist viel zu früh -«
»Die Zeit läuft ab«, sagte Graham. »Die Zeit ist fast um. Ich habe es mir geschworen. Ich habe auf ihre Gräber geschworen. Sie sind für G.I.F.T. gestorben, und niemand hat bezahlt. Aber jetzt werden sie zahlen. So einfach ist das.« Er kramte das Telefonbuch aus einer Schublade mit Geschirrtüchern hervor und hievte es stöhnend, obwohl es kein dicker Band war, auf die Arbeitsplatte. Er begann, darin zu blättern, und sein Atem ging schnell wie der eines Läufers am Ende des Rennens.
Frank machte einen letzten Versuch, ihn zurückzuhalten. »Dad, wir müssen erst die Beweise beisammen haben.«
»Wir haben alle Beweise, die wir brauchen. Da oben.« Graham tippte sich an den Kopf, mit verkrümmtem Finger, der im Krieg auf seiner vergeblichen Flucht vor Entdeckung schief zusammengeheilt war: Damals war die Gestapo gekommen, um die Männer, die hinter G.I.F.T. standen, abzuholen. Irgendjemand auf der Insel, dem sie vertrauten, hatte sie verraten. Zwei der vier Mitarbeiter an dem Nachrichtenblatt waren im Gefängnis gestorben, ein dritter war bei einem Fluchtversuch umgekommen. Einzig Graham hatte überlebt, aber nicht unverletzt und nicht ohne die Erinnerung an drei gute Männer, die ihr Leben für die Freiheit gegeben hatten, Opfer eines Denunzianten, der allzu lange unerkannt geblieben war. Eine stillschweigende Vereinbarung zwischen Politikern in England und Guernsey verhinderte nach Kriegsende Untersuchung und Bestrafung. Es sei das Beste, die Vergangenheit ruhen zu lassen, hieß es, und da das Beweismaterial angeblich nicht ausreichte, um »die Einleitung strafrechtlicher Schritte zu rechtfertigen«, lebten diejenigen, deren skrupelloser Egoismus ihren Kameraden den Tod gebracht hatte, von ihrer Vergangenheit unberührt weiter und in eine Zukunft hinein, die sie durch ihr Handeln weit besseren Menschen geraubt hatten. Eine Aufgabe des Museumsprojekts wäre es gewesen, die Wahrheit aufzudecken. Ohne die Museumsabteilung über die Kollaboration würde alles bleiben wie bisher: der Verrat das alleinige Geheimnis der Verräter und der Opfer. Alle anderen würden weiterleben können, ohne je zu erfahren, wer den Preis für ihre heutige Freiheit bezahlt hatte und wie es dazu gekommen war.
»Aber Dad«, sagte Frank, obwohl er wusste, dass es sinnlos war, »sie werden sich nicht mit deinem Wort allein begnügen. Sie werden zusätzliche Beweise verlangen. Das muss dir doch klar sein.«
»Na schön, dann such sie aus dem ganzen Plunder da drüben raus.« Graham wies mit dem Kopf zu den Nachbarhäusern, in denen ihre
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