120 - Schwur in der Opferhalle
schützen.
Mariam, eine der ältesten Frauen des Dorfes, kniete neben der Tobenden und versuchte, sie zu beruhigen. Doch Naidu hörte nicht auf ihre beruhigenden Worte. Wie eine Verrückte riß sie sich den Sari vom Leib. Sie setzte sich auf und keuchte wild.
„Ihr seid alle verflucht!" brüllte Naidu. „Ravana wird euch holen!"
„Sie hat den Verstand verloren", flüsterte Nunni, eine junge Frau, mit versagender Stimme.
Naidu sprang auf. Unzählige Hände griffen nach ihr, doch sie schlug sie wild zur Seite.
„Haltet sie auf!" brüllte Mariam. „Sie ist verrückt geworden."
Ein paar Männer stellten sich ihr entgegen, packten sie und drehten ihr die Hände auf den Rücken. Schaum stand vor ihrem Mund. Ihre Augen waren weit aufgerissen und glasig.
„Ihr müßt Ravana dienen!" schrie Naidu. „Sonst seid ihr rettungslos verloren."
„Wer ist Ravana?" fragte der Dorfälteste. Sein Schädel war kahl rasiert, sein Gesicht war verrunzelt, und der blutleere Mund entblößte dunkle Zähne.
„Ravana ist mächtig", sagte Naidu. Sie versuchte, sich aus der Umklammerung zu befreien. „Er ist ein uralter Dämon, der über große Macht verfügt."
„Der Vogel", sagte Gopinath leise. Er war der Geldverleiher des Dorfes und der reichste Mann weit und breit. „Er hat sie verhext. Sie ist von einem bösen Geist besessen."
Niemand beachtete den kleinen Vogel, der auf einer Hütte saß und interessiert die aufgeregten Menschen betrachtete. Ravana war begeistert. Er konnte Naidu nach Belieben beeinflussen.
Banjan stand plötzlich auf. Schwankend setzte er sich in Bewegung. Seine Arme baumelten hin und her. Sein Blick war glasig, als er auf seine halbnackte Frau zutorkelte und vor ihr stehenblieb.
„Laßt sie los!" keuchte er.
Naidu schien sich beruhigt zu haben. Die Männer ließen sie los, und die junge Frau hielt den zerrissenen Sari über der Brust zusammen und atmete schwer.
„Hört mich an", sagte Banjan. Der Klang seiner Stimme änderte sich. Sie war jetzt schrill und durchdringend. „Aus mir spricht der Dämon Ravana!" Seine Stimme wurde noch schriller und lauter. Sie erinnerte jetzt an das Heulen eines Taifuns. „Ihr müßt mir gehorchen!" schrie der Dämon aus Banjan. „Ich verlange unbedingten Gehorsam. Wer mir nicht gehorcht, wird eines entsetzliches Todes sterben!"
„Nehmt Banjan und Naidu gefangen", rief der Dorf älteste. „Bindet sie und sperrt sie in eine Hütte!"
„Wer mich berührt, der wird einen schrecklichen Tod sterben", sagte der Dämon.
Bulaki, ein beherzter junger Mann, sprang vor und griff nach Banjan. Er stieß einen Schrei des Entsetzens aus, hob die rechte Hand und starrte sie überrascht an. Die Hand war mit Blasen bedeckt, als habe er in einen glühenden Ofen gegriffen. Die Blasen platzten auf, und Blut sprang hervor. Es rann über sein Handgelenk und tropfte auf den Boden.
„Er wird verbluten", sagte der Dämon aus Banjan. „Niemand kann ihm helfen."
Ein unsichtbares Messer schnitt Bulakis Unterarm auf, und eine wahre Blutfontäne spritzte aus der Armbeuge.
„Helft mir!" kreischte Bulaki. „So helft mir doch! Ich verblute!"
Seine Frau band ihm den Oberarm mit einem Tuch ab, doch das half nichts. Jetzt platzte Bulakis linker Unterarm auf - und dann der Oberarm. Blut rann aus seiner Stirn, spritzte aus seiner Brust und den Oberschenkeln. Die Augen des Unglücklichen lösten sich auf, und blutige Tränen rannen über seine Wangen.
Nach wenigen Sekunden fiel Bulaki zu Boden. Er schrie durchdringend und schlug mit Armen und Beinen um sich. Dann bewegte er sich nicht mehr. Alles Blut war aus seinem Körper geronnen.
Seine Frau warf sich laut klagend über den Toten.
„Glaubt ihr mir nun?" schrie der Dämon.
Die Dorfbewohner warfen dem Toten scheue Blicke zu und zogen sich schweigend zurück.
„Banjan und Naidu sind meine Diener", brüllte der Dämon. „Und ihr alle werdet es auch bald sein. Niemand darf das Dorf verlassen. Habt ihr mich verstanden? Wer sich entfernt, wird sterben. Ich komme wieder, meine Lieben. Freut euch darauf."
Ravana triumphierte. Er drehte einige Kreise über dem Dorf und beobachtete Banjan und Naidu, die vor dem Dorfbrunnen standen und sich schweigend anstarrten.
Ravana flog zum Tempel zurück. Er hatte die Absicht, in der Nacht dem Dorf einen weiteren Besuch abzustatten und Frucht und Schrecken zu verbreiten.
Im Tempel zog er sich in sein Zimmer zurück. Er nahm Bixbys Gestalt an und dachte nach.
Dem Chakravartin hatte er erzählt,
Weitere Kostenlose Bücher