1204 - Der Häuter
warten, dann kommst du anschließend noch zu deinem Bier.«
»Hört sich nicht schlecht an.«
»Ist auch nicht schlecht.«
Ich öffnete die Augen wieder und streifte dabei mit einem Blick das Telefon. Es hatte sich bisher noch nicht gemeldet, was auch nicht unbedingt sein musste, aber ich schien es wohl durch mein Anstarren hypnotisiert zu haben, denn plötzlich fing es an zu klingeln.
»Mist!«
»Soll ich abheben, John?«
»Gern.«
Suko tat mir den Gefallen, aber ich schloss die Augen nicht wieder. Mein Gefühl sagte mir, dass mit diesem Anruf die Herrlichkeit des Tages vorbei war. Wie zum Zeichen, dass ich Recht behielt, schob sich plötzlich vor die Sonne eine Wolke und dunkelte unser Büro leicht ein.
Suko hatte sich gemeldet. Seinem Gesichtsausdruck entnahm ich, dass ihn der Anrufer überraschte.
»Ja, Terrence«, sagte er, »das ist aber eine Überraschung.« Er hörte sekundenlang zu, um dann zu nicken. »Natürlich, John ist hier. Er sitzt mir gegenüber. Ich gebe ihn dir mal.«
Suko reichte mir den Hörer. Er zuckte dabei die Achseln. Der Anruf schien ihn nicht eben erfreut zu haben.
Auch wenn er den Nachnamen nicht gesagt hatte, ich konnte mir denken, wer da etwas von mir wollte. Terrence Bull, der Kollege und Freund aus Lauder, der kleinen Stadt in Schottland, in der meine Eltern gelebt hatten und auch begraben worden waren. In der kurzen Zeitspanne jetzt stieg so vieles in mir hoch, dass ich einen knallroten Kopf bekam, weil ich wieder an den Tod meiner Eltern denken musste. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens gewesen.
Deshalb klang meine Stimme nicht eben fröhlich, als ich mich meldete.
»Gut, dass du da bist, John.«
»Probleme, Terrence?«
»Ja.«
»Geht es um meine Eltern? Oder um die Hausruine, die…«
»Nein, nein, das hat damit nichts zu tun. Trotzdem ist das Grauen zurückgekehrt.«
»Wie meinst du das?«
»Man hat einen Toten gefunden. Aufgehängt in einen Baum. Der Mann wurde zuerst ermordet, und dann hat der Mörder ihm… ihm…«, Terrence Bull rang nach Worten. »Ja, John«, flüsterte er schließlich, »dann hat der Mörder ihm die Haut abgezogen. Es ist fürchterlich, aber leider eine Tatsache. Sorry.«
Ich gab zunächst keine Antwort. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Etwas klingelte auch Alarm, aber ich war zunächst noch so durcheinander, dass ich noch zu keinem Ergebnis kam. Ich merkte nur, dass das Blut aus meinem Gesicht wich.
»Erinnerst du dich, John?«
»Ja - hm - nein, nicht so recht. Da ist schon was gewesen, Terrence, das stimmt. Aber…«
»Damals vor sechs Jahren. Ich habe nachgeforscht. Es liegt fast sechs Jahre zurück. Da war dieser Killer Ben Navis, der besser als der Filmkiller Hannibal sein wollte und…«
»Ja, ja!«, rief ich. »Ich weiß es, Terrence. Du brauchst nichts mehr zu sagen. Alles klar. Ich weiß auch, dass mein Vater mir das Leben gerettet hat.«
»Eben. Ihr habt den Killer gestellt. Jetzt ist Ben Navis wieder zurück, und er hat nichts von seiner verdammten Grausamkeit verloren, John. Immer noch das gleiche Strick- oder Mordmuster. Wobei doch jetzt wieder die Fortsetzung in den Kinos angelaufen ist. Er hängt sich dran, John. Das müssen wir so sehen.«
Bull erwartete eine Antwort von mir, das wusste ich. Nur war ich im Moment noch zu sehr von der Rolle, um ihm eine vernünftige geben zu können. Da war einfach zu viel auf mich eingestürmt. Der Film, die Erinnerung an die Vergangenheit, und nun die neue Tat.
»Ich denke, du solltest in unsere Gegend kommen, John. Für mich steht fest, dass er wieder da ist.«
Ich holte tief Luft. »Ja, das kann ich alles verstehen, Terrence, aber nicht begreifen. Soweit ich mich erinnern kann, ist er verurteilt worden. Man hat ihn hinter die dicken Mauern einer psychiatrischen Anstalt gesteckt, wo er bis zu seinem Lebensende bleiben wird. Oder hat sich das geändert?«
»Nein, er wurde nicht entlassen.«
»Das weißt du genau?«
»So ist es. Ausgebrochen ist er auch nicht. Danach habe ich mich schon erkundigt. Du kannst dir vorstellen, dass hier bei uns Holland in Not ist.«
»Glaube ich dir. Wo sitzt er?«
»In Glasgow!«
»Und wer ist umgebracht worden?«
»Ein ehemaliger Kollege von mir. Er war unter anderem Bewacher bei der Gerichtsverhandlung. Ob es Zufall oder Absicht gewesen ist, muss noch eruiert werden. Ausschließen kann man jedenfalls nichts. Das müssen wir schon so sehen.«
Ich ballte meine freie Hand zur Faust. Suko hörte inzwischen mit. Auch er sah
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