1205 - Wer die Totenruhe stört
mich wirklich verschlungen wie ein breites Maul. So aber war ich ihm entkommen. Es gelang mir auch ein guter Blick in die Tiefe. Dort schimmerte kein Totenkopf. Ich sah auch keinen Schatten me hr. Trotzdem hatte ich den kalten Hauch nicht vergessen, der über meine Beine hinweggestrichen war.
Ein Phänomen aus der Tiefe, vielleicht eine kalte Totenklaue, die mich hatte erwischen wollen und mich nicht hatte erreichen können, weil ich einfach zu schnell gewesen war.
Nein, es war nichts mehr zu sehen, so intensiv ich auch schaute. Aber ich hatte mich auch nicht geirrt.
Etwa zwei Fußbreit von mir entfernt befand sich der offene Graben. Er führte links von mir am Grabstein vorbei, und auf der anderen Seite verlor er sich.
Suko und Averell war nichts passiert. Mein Freund winkte mir zu. Er stand nicht weit von einem Platz entfernt, an dem die Erde zu einem Hügel aufgeworfen war, und schon fast am Rand des Friedhofs hockte Craig auf einem nicht sehr hohen Stein und hielt sein Bike fest.
Es waren ein paar neue Risse nach dem Grollen entstanden, aber weitere Totenschädel bekamen wir nicht mehr zu Gesicht.
Sie waren zum Glück in der Tiefe geblieben.
Mit noch immer vorsichtig gesetzten Schritten näherte ich mich meinem Freund. Ich beobachtete den Boden jetzt genauer und spitzte auch die Ohren, um das verräterische Grollen noch früher zu hören, falls es wieder zu einem Angriff kam.
Diesmal nicht. Suko schlug mir auf die Schulter. »Das hat nicht gut ausgesehen bei dir.«
»Du sagst es. Ich befand mich genau im Zentrum.«
»Du!« Er betonte das Wort besonders.
»Klar, ich.«
»Dann hat es dieser Vurvolak oder wie immer sich der Typ auch nennt, auf dich abgesehen.«
»Stolz macht mich das nicht. Aber du kannst Recht haben. Er wollte mich haben.«
»Und warum?«
Ich zielte mit der Spitze des rechten Zeigefingers auf meine Brust.
»Das Kreuz?«
»Ja. Es hat mich sogar gewarnt.« Danach berichtete ich meinem Freund, was mich an den Füßen gestreift hatte.
»Hast du die Totenruhe gestört?«, erkundigte sich Suko.
»Ha. Wenn, mein Lieber, dann haben wir sie gestört und nicht ich sie allein.«
»Okay, das nehmen wir hin.«
»Jedenfalls haben wir einen Feind. Und ich denke nicht, dass er schon aufgegeben hat.«
»Willst du trotzdem hier auf dem Friedhof bleiben?«
»Nein, auf keinen Fall. Es kann sein, dass wir noch mal zurückmüssen, aber ich denke auch an die Menschen in Rootpark. Ich kann mir vorstellen, dass auch sie das Grollen gehört haben.«
»Hoffentlich nur das Grollen«, murmelte Suko. »Ich habe so ein verdammt schlechtes Gefühl.«
»Welches?«
Er stemmte die Hände in die Seiten und schaute über den Friedhof hinweg. »Dass wir gerade zur richtigen Zeit hier erschienen sind. Dieser Vurvolak macht sich wohl bereit, sein Riesengrab zu verlassen.« Er trat neben einen in der Nähe liegenden Totenschädel und kickte ihn weg. »Dann will er sich neue Nahrung holen.«
»Denkst du an einen Ghoul?«
»Ich rechne mit allem.«
»Okay, hier haben wir nichts mehr zu suchen.«
Mir zitterten schon noch ein wenig die Knie, als ich neben Suko herging. Auf dem Friedhof war wieder Ruhe eingekehrt.
An manchen Stellen wirkte er so, als hätten ihn Menschen mit gewaltigen Schaufeln umgegraben. Auch die heimtückischen Fallen waren nicht verschwunden.
Wer war Vurvolak? Wer verbarg sich dahinter? Einer, der den Balkan verlassen und hier eine neue Heimat gefunden hatte? Einer, der gestorben war, aber nicht verwesen konnte, weil eine Katze über seinen Leichnam gesprungen war?
So einfach wollte ich mir die Antwort nicht machen. Da konnte schon me hr passiert sein, und die Menschen im Dorf sollten es mir sagen, bevor es zu spät war. Möglicherweise wussten sie ja Bescheid und kannten die Vorzeichen. Jetzt warteten sie darauf, dass sich ihnen der Dämon zeigen würde.
Craig Averell hatte seine Blässe no ch nicht verloren. Immer wieder fuhr er über den Stoff seiner Mütze hinweg und sagte dabei:
»Das war nur der Anfang. Nur der Anfang. Ich spüre es. Vurvolak gibt nicht auf.«
»Jetzt reden Sie, als würden Sie ihn kennen«, sagte ich.
»Nein, Mr. Sinclair, ich kenne ihn nicht. Ich habe ihn nie gesehen, aber ich habe von ihm gehört.« Ich sah, wie er erschauerte. »Was sich die Leute erzählen, ist schlimm.«
»Was sagen Sie denn?«, hakte ich nach. Inzwischen war mir klar geworden, dass er mehr wusste, als er uns bislang gege nüber zugegeben hatte.
»Wollen Sie das wirklich wissen?«
»Sonst
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