1206 - Das Blut der schönen Frauen
Stimmen zu hören.
»Wir holen sie, Schwester.«
»Ja, ihr Blut. Ich will ihr Blut…«
»Nicht so schnell…«
»Doch. Ich will…« Ein leiser Fluch unterbrach das normale Sprechen.
Er war auch verbunden mit einem dumpfen Laut, als jemand gegen ein Hindernis trat. Wahrscheinlich war es eine Treppenkante, aber sie hielt die beiden Ankömmlinge nur kurz auf, denn sie wollten nach oben zu der Person gelangen, auf die sie scharf waren.
Beide gingen nicht sehr konstant oder regelmäßig die Stufen hoch.
Zwischendurch hielten sie inne. Sie kicherten dabei wie zwei Teenager, die plötzlich den Traum ihrer schlaflosen Nächte vor sich sahen. Stufe für Stufe kämpften sie sich hoch.
Sie hielten jetzt den Mund, weil sie nicht noch weitere Aufmerksamkeit erregen wollten.
Für Alexandra wurde es Zeit, sich wieder in das Zimmer zurückzuziehen. Sie wusste nicht, was sie genau unternehmen sollte, aber die Worte hatte sie nicht vergessen.
Jemand wollte ihr Blut holen! Eigentlich unbegreifbar. Allerdings traute sie der Besitzerin des Hauses mittlerweile alles zu. Sogar einen Mord, denn auf nichts anderes würde es hinauslaufen. Obwohl sich die Deutsche da nicht so sicher war, denn welcher Mörder sprach davon, sich das Blut zu holen. Damit hatte sie ihre Probleme.
Sie zog sich zurück. Besonders leise brauchte sie dabei nicht zu sein, denn die Ankömmlinge machten Lärm genug. Ihre Schritte übertönten die anderen Geräusche völlig.
Alexandra wunderte sich über sich selbst, wie mutig sie reagierte. Sie versteckte sich nicht im Zimmer, sondern blieb auf der Schwelle stehen und warf einen Blick durch die noch nicht ganz geschlossene Tür in den Gang.
Das Ende der Treppe sah sie nicht. Nur den letzten Rest des Lichtscheins, der sich dort verlor. Sie wusste genau, dass die beiden Personen dort auftauchen würden.
Und sie kamen auch…
Die Geräusche der Tritte veränderten sich. Sie klangen nicht mehr so hohl wie zuvor. Aber sie sah keine Schatten durch den Lichtschein gleiten. Dafür entdeckte sie Sekunden später die beiden Gestalten, die sich dicht an der Wand hielten und dabei dem Lichtschein nicht entwischen konnten.
Sie zu sehen war nicht mehr als eine Momentaufnahme. Aber sie reichte Alexandra aus. So konnte sie erkennen, dass die beiden Ankömmlinge jünger waren als sie. Keine Kinder mehr, auch keine Jugendlichen, aber diese Zeit lag nicht lange zurück.
Die Haare lagen wirr oder fransig um die Köpfe herum. Von den Gesichtern konnte sie nicht viel sehen, glaubte allerdings, dass die Münder dort offen standen.
Waffen trugen die beiden nicht bei sich. Zumindest nicht offen. Sie waren mit Hosen und längeren Hemden bekleidet und bewegten ihre Köpfe beim Gehen von rechts nach links.
Alexandra schloss die Tür. Jetzt klopfte ihr Herz wie verrückt.
Sie konnte sich selbst nicht erklären, weshalb sie eine so panische Angst vor diesen beiden Gestalten spürte. Es war nun mal so, und sie konnte nichts daran ändern.
Zudem stand fest, dass sie zu ihr wollten, und für Alexandra gab es nur einen Fluchtweg. Das war das Fenster. Nirgendwo sonst konnte sie das Haus verlassen.
Ein niedriges Haus. Das Fenster lag zum Glück nicht zu hoch.
Der Boden unten war weich. Wenn sie sprang, würde sie im Garten landen. Möglicherweise auch in einem Gebüsch, das ihren Aufprall abfederte. Mit wenigen Schritten hatte sie das Fenster erreicht und zog es so weit wie möglich auf.
Die kalte Nachtluft erwischte sie voll. Aber das machte ihr nichts. Für sie war wichtig, von hier fliehen zu können. Sie beugte sich vor und warf einen Blick nach draußen.
Zunächst kam ihr die Welt vor wie mit Tinte übergossen. Sie sah erst mal nichts. Sekunden später nahm sie die Umrisse der kahlen Bäume und auch die der Sträucher wahr. Dazwischen sah sie auch die leeren Stellen, dunkel wie schwarze Inseln.
Sie lauschte zur Tür hin.
Ja, von draußen waren die Schritte zu hören. Beide Frauen gaben sich keine besondere Mühe. Sie mussten sich verdammt sicher fühlen. Es waren wieder ihre Stimmen zu hören. Auch ein kehliges Lachen erreichte Alexandras Ohren. Sie freuten sich auf die Beute.
Alexandra kletterte auf die Fensterbank. Sie hockte dort und duckte sich zusammen. Noch immer schlug ihr Herz so schnell.
Sie hatte sich schräg hingesetzt, um auch die Tür weiterhin im Auge behalten zu können.
Dort passierte noch nichts.
Es war auch nichts zu hören.
Für einen Moment glaubte und hoffte Alexandra, dass die beiden
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