1206 - Das Blut der schönen Frauen
umgehört. Wir hatten einige Ortschaften abgeklappert und versucht, etwas über die Gestalt in Erfahrung zu bringen, doch wir wurden nur mit einem Schulterzucken belohnt. Auch durch das Präsentieren der Fotos erreichten wir nichts. Angeblich hatte niemand die Verschwundenen gesehen oder wollte sich nicht daran erinnern.
So neigte sich der Tag allmählich dem Ende entgegen. Die Helligkeit nahm ab, und unser Frust stieg an.
In einem Kaff namens Cooling machten wir schließlich Halt, um unser weiteres Vorgehen zu besprechen. Es war eines der nördlichsten Dörfer auf der Halbinsel. Es gab auch keine normale Straße mehr, die weiter in diese Richtung führte. Man musste zu Fuß gehen oder konnte mit dem Rad fahren. Auch da war irgendwann Schluss, denn die Klippen und das Meer bildeten die natürliche Grenze.
In Cooling war, wie in vielen anderen Orten, auch der Hund begraben.
Um diese Zeit waren die Bewohner unter sich.
Touristen trudelten erst später im Jahr ein, und so wirkte der Ort, als wäre er von der Welt vergessen worden.
Es gab Steinhäuser, aber auch welche, die aus hellem Holz errichtet waren, und da wir Hunger spürten, suchten wir nach einem Lokal, um zu Abend zu essen.
Ein Grieche hatte seinen Laden geöffnet. Wir parkten neben einem weiß gestrichenen Zaun und gingen auf den Eingang zu, der von einer Lampe angestrahlt wurde. Wir hörten auch die griechische Musik, doch als wir den Laden betraten, waren wir die einzigen Gäste. Ein Mann und eine Frau hockten an einem runden Tisch beisammen. Er las Zeitung, und sie war damit beschäftigt, Zwiebeln zu schneiden.
Beide schauten auf, als wir als Gäste kamen. Sie waren überrascht, das sahen wir ihren Blicken an. Der Mann ließ die Zeitung sinken, und die Frau wischte ihre Hände an einer bunten Schürze ab.
Wir grüßten freundlich und erkundigten uns, ob es auch was zu essen gab.
»Ja, schon«, sagte der Wirt oder Besitzer, »aber offiziell haben wir geschlossen. Wir sind erst vor einer Woche aus der Heimat zurückgekehrt und müssen noch viele Vorbereitungen treffen. Im Winter haben wir hier immer zu.«
»Dann hat es wohl keinen Sinn…«
»Nein, nein«, sagte er schnell, »bleiben Sie ruhig. Meine Frau wollte für uns das Essen zubereiten. Sie kann ruhig zwei Portionen mehr machen.«
»Was gibt es denn?«, fragte Suko.
»Omeletts. Gefüllt mit Schafskäse, Tomaten und Zwiebeln. Auch einige Oliven gehören dazu.«
Wir schauten uns an.
Als Suko nickte, stimmte auch ich zu.
Das freute den Wirt, der Costa hieß, wie wir draußen gelesen hatten.
»Sie können sich die Plätze aussuchen, meine Herren. Es ist nichts reserviert.« Er lachte über seinen eigenen Scherz und strich gelassen mit einem Finger über seinen prächtigen Oberlippenbart hinweg.
»Danke.«
Wir nahmen an einem Tisch Platz, der nah an einem Fenster stand. Ich schaltete eine kleine Leuchte an und wollte mich zurücklehnen, als Costa mit drei Gläsern an unseren Platz herantrat. »Sie sind die ersten Gäste in der neuen Saison. Bitte, der Ouzo geht auf Kosten des Hauses. Willkommen.«
»Danke sehr.«
Einen Drink konnte ich jetzt vertragen. Suko sah es anders. Er griff zwar nach dem Glas, doch wie ich ihn kannte, würde er kaum trinken.
Er nippte nur, während Costa und ich das Glas bis auf den letzten Tropfen leerten.
»Das tat gut«, sagte ich.
Der Wirt nickte und schaute seiner Frau hinterher, die in der Küche verschwand. Sie hätte bei ihrer Figur auch gut als italienische Mama durchgehen können, die sich um ihren Mann und die sechs Kinder kümmerte.
»In der nächsten Woche sind auch unsere Kinder wieder da, die hier mithelfen. Sie wollten noch in der Heimat bleiben.«
Seine Stimme bekam einen jämmerlichen Tonfall. »Überlegen Sie mal. Da scheint die Sonne, da sind dreißig Grad. So hohe Temperaturen hatten wir seit Jahren nicht mehr. Ich wäre so gern noch geblieben, aber das Geschäft ist hier, und es läuft im Sommer sehr gut.«
Ich blickte auf ein Bild an der hellen Wand. Es war eine große Fotografie. Darauf waren viel Meer und auch einige der Inseln zu sehen, die sich wie Flecken darin verteilten. Auf dem Wasser spiegelte sich die Sonne, und die Segel einiger Schiffe sorgten für bunte Farbkleckse.
Auch der herrliche blaue Himmel war zu sehen. Die wenigen Wolken dort sahen aus wie weiße Federn.
Costa hatte meinen Blick gesehen und seufzte. »Ja, das ist mein Lieblingsfoto. Ich brauche es, um an die Heimat denken zu können. Immer wenn ich es mir
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