121 - Die Jagd nach dem Januskopf
„Versuchen Sie, Verbindung zu Vozu herzustellen."
Nelja versuchte es. „Er ist vor uns. Er läuft auf uns zu. Steinbrocken fallen aus den Felswänden und stürzen auf ihn, doch sie können ihn nicht aufhalten."
Von einer Sekunde zur anderen kam ein heftiger Wind auf, der an unseren Kleidern zerrte. Nach kaum einer halben Minute war der Wind zu einem Orkan geworden.
Wir preßten uns gegen die Felswand. Doch auch das half nicht viel. Der Sturm orgelte wütend durch das schmale Tal. Unsichtbare Hände schienen nach dem rotgesichtigen Smyslow zu greifen. Der Sturm riß ihn von der Wand fort. Der Pilot schrie mit voller Kraft, doch wir konnten ihm nicht mehr helfen. Der Sturm riß ihn wie ein Blatt Papier hoch, trug ihn ein paar Meter mit sich fort und schleuderte ihn dann gegen einen Felsvorsprung. Ich schloß die Augen, als der Unglückliche aufprallte.
Der Todesschrei hallte mir schaurig in den Ohren.
Ich warf mich zu Boden und riß Nelja mit mir.
„Drück dich ganz eng an die Wand und gegen den Boden!" schrie ich ihr zu.
Sie gehorchte. Eng aneinandergeschmiegt lagen wir da. Der Sturm zerrte an unseren Anoraks, doch er fand keine Angriffsstellung, wo er uns packen konnte.
Langsam hob ich den Kopf. Deutlich konnte ich das kleine Tal überblicken. Ein solches Wüten der Natur hatte ich nie zuvor erlebt. Da steckte gewiß ein Dämon dahinter. Anders konnte ich es mir nicht erklären, daß sich im Boden Löcher auf taten, daß von den Bergen Steinlawinen ins Tal donnerten und daß es jetzt auch noch zu schneien begann. Aber nicht genug damit - kindskopfgroße Hagelkörner fielen hernieder.
Ich konnte nicht einmal mehr eine Handbreit weit sehen. Es war völlig dunkel geworden.
Rings um uns heulte der Wind, prasselten die Hagelkörner und bebte die Erde.
In dem ohrenbetäubenden Toben glaubte ich einen Schrei zu hören. Doch ich konnte mich auch getäuscht haben.
Einmal wagte ich es, den Kopf zu heben. Da traf mich ein spitzer Eiszapfen zwischen den Augen und ich wurde fast besinnungslos. Ich spürte, daß mir das Blut über die Nase rann, wagte es aber nicht, noch einmal den Kopf zu heben.
Es schien endlos lange zu dauern, bis das dämonische Unwetter schwächer wurde. Allmählich wurde es wieder hell. Der Hagelschlag und der Eisregen hatten aufgehört, doch es schneite noch immer. Endlich wagte ich es, den Kopf zu heben. Mit der rechten Hand strich ich mir über die Stirn. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten, ja es hatte sich schon eine leichte Kruste gebildet. Mühsam stemmte ich mich hoch, schüttelte den Schnee und die Hagelkörner von den Kleidern und half Nelja beim Aufstehen.
„Bist du verletzt?" fragte ich besorgt.
Lächelnd schüttelte sie den Kopf.
„Ich nicht. Aber du hast eine Verletzung an der Stirn."
„Nur ein Kratzer", sagte ich.
Kiwibin stöhnte. Ich blickte ihn an. Seine Augen waren rot unterlaufen. Er fluchte wild und betastete seinen rechten Unterarm.
„Ich fürchte, der Arm ist gebrochen", sagte er wütend und stand langsam auf.
Saigin und Tarakower waren unverletzt geblieben. Nur Tigran Chotomirski bewegte sich nicht.
Ich ging zu ihm und bückte mich. Er lag auf dem Bauch, und in seinem Rücken steckte ein armdicker Eiszapfen. Er hatte sich in sein Herz gebohrt.
„Chotomirski ist tot", sagte ich.
Die beiden Agenten hoben ihn hoch und wälzten ihn auf die Seite. Die Augen des Toten waren weit aufgerissen.
„Zwei sind tot", knurrte Kiwibin. „Dabei können wir noch vom Glück reden, daß dieses Unwetter nicht mehr Verluste gefordert hat."
„Dahinter steckt sicher die Schwarze Familie", sagte ich. „Ich glaube, sie sind hinter Vozu her.
Sonst hätten sie dieses Unwetter nicht inszeniert. Sie wollen den Januskopf erwischen."
„Wissen Sie, wo Vozu im Augenblick steckt, Nelja?"
„Nein", antwortete sie. „Was ist die Schwarze Familie? Davon habt ihr schon einmal gesprochen." „Das soll Ihnen Abi erklären, Nelja. Ich lasse mir meinen Arm verbinden."
Saigin und Tarakower kümmerten sich um ihren Chef.
„Abi, bitte. Ich will wissen, was das für eine Familie ist", sagte Nelja.
Ich seufzte. In wenigen Minuten konnte ich ihr kaum ein umfassendes Bild von der Schwarzen Familie geben.
„Du weißt, daß es Dämonen, Vampire, Werwölfe, Hexen und ähnliche Nachtgeschöpfe gibt", sagte ich.
„Das weiß ich nicht. Bis vor wenigen Tagen glaubte ich, daß es solche Alptraumgeschöpfe nur in Märchen und Sagen gibt."
„Es gibt sie aber", sagte ich. „Bis vor wenigen
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