1211 - Guywanos Druiden-Festung
stimmte.
Vor meinen Augen erlebte Selina die Veränderung, und sie verwandelte sich in ein Reptil, allerdings nur vom Kopf her, denn der Körper blieb menschlich.
Ihre dichten Haare blieben, auch wenn sie ihre Frische verloren und eine fahle Farbe bekamen. Es war für mich kein Bild des Schreckens, sondern sehr grotesk und eigentlich lächerlich.
Ich hütete mich allerdings davor, es so einzustufen, denn jetzt war meine Nachbarin tatsächlich zu einem Monster geworden und zeigte damit ihr wahres Gesicht.
Das lange Kleid, der normale Körper, die Haare und das breite Echsengesicht mit dem veränderten Mund, der kaum noch zu erkennenden Nase und den kalten Augen - das erinnerte mich an das echte Monster.
Sie und die Kreatur, die ich auf der Treppe bekämpft hatte, besaßen gewisse Gemeinsamkeiten.
Sie sah nicht ganz so aus, aber die Verwandtschaft zwischen ihnen konnte einfach nicht übersehen werden. Ein verrückter Gedanke schoss mir durch den Kopf.
War Selina Green möglicherweise eine Tochter oder ein Abkömmling dieser monströsen Gestalt?
Ich schaute auf ihre Hände.
Sie waren und blieben menschlich. Mit ihnen umklammerte sie den Schwertgriff, wobei der Kontakt der Waffe mit dem Boden blieb. Sie traf keinerlei Anstalten, mich anzugreifen, und auch ich hütete mich davor, sie zu provozieren. Je mehr Zeit ich gewann, desto besser ging es mir, umso stärker konnte ich mich erholen.
Selina wusste sicherlich, dass mich Fragen quälten. Als mir das Zucken ihres Mauls auffiel, sah ich es als ein Lächeln an und fragte leise: »Wer bist du wirklich?« Ich wollte ihre Antwort hören und wollte vor allen Dingen herausfinden, ob sie mit einer normalen menschlichen Stimme sprach.
»Deine Nachbarin, Sinclair.«
Ja, sie redete, und ihre Stimme hatte sich nicht verändert.
»So habe ich dich nicht in Erinnerung.«
»Das weiß ich. Aber ich musste mich deiner Welt anpassen, wenn ich mein Ziel erreichen wollte.«
»Hast du es erreicht?«
»Ja und nein.«
»Was bedeutet das?«
Ihr Gesicht mit der Schuppenhaut bewegte sich wieder. Aus dem schmalen Maul presste sie die Antwort hervor, die auch jetzt für mich zu verstehen war.
»Ich besitze das Schwert. Ich habe es geholt. Und ich bin stolz darauf, dass mein Plan in Erfüllung gegangen ist. Ich habe es. Ich habe es für Guywano getan, der mir nicht hat glauben wollen. Er traute es mir nicht zu, er wollte mich nicht mal als Druidin akzeptieren, aber das bin ich. Ja, ich zähle mich zu den Eichenkundigen, und ich habe Guywano auch erklärt, dass ich meine Macht ausbauen werde, um irgendwann mit ihm gleich zu sein. Er muss es akzeptieren, denn ich habe ihm den ersten Beweis bereits gebracht.«
Das also war es wieder. Ein Spiel um Macht und Einfluss.
Beinahe hätte ich gelacht, denn ich dachte daran, dass hier in Aibon die gleichen Verhältnisse herrschten wie auf der Erde.
So war das eben. Im Prinzip änderte sich nichts.
»Nur einen ersten Beweis?«, fragte ich.
»Ja, der zweite fehlt noch.«
»Woraus besteht er?«
Die pupillenlosen Augen innerhalb des Echsengesichts starrten mich kalt an. »Guywano ist schwer zufrieden zu stellen. Wenn er jemanden an seiner Seite akzeptiert, dann muss dieser schon sehr gut sein. Fast so gut wie er. Ich möchte sogar besser sein.«
Mein Mund verzog sich spöttisch. »Da musst du dir etwas einfallen lassen.«
»Das habe ich bereits.«
»Und was ist es?«
Das Lächeln verging, als sie antwortete. »Es ist dein Tod, John Sinclair. Deine Vernichtung durch das Schwert hier im Paradies der Druiden, wo du sterben wirst und für alle Zeiten verschwunden bleibst. An der Grenze der beiden Länder wird dein Blut diesen Boden tränken. Gestorben durch eine Waffe, die du als dein Eigentum angesehen hast, durch das Schwert des Salomo.«
Etwas Ähnliches hatte ich geahnt. Deshalb war ich auch nicht sonderlich überrascht.
»Du willst mich töten?«, fragte ich.
»Wer sonst?«
»Ich dachte an Guywano. Oder vielleicht auch an ein Monster, wie ich es erlebt habe.«
»Es ist mein Freund gewesen. Wir alle gehören zur gleichen Familie. Es gibt welche von uns, die haben sich zu den Menschen hin entwickelt, aber andere sind so geblieben. Letztendlich sind wir Geschöpfe dieser Welt, die manchmal einen Ausbruch unternehmen. Aibon ist so vielfältig und so vielschichtig. Du kannst zehn Leben haben, und es wird dir nie ganz gelingen, das Land zu erforschen. Ich liebe diese wunderbare Welt. Ich atme hier, ich lebe hier, und ich bin so etwas
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