1211 - Guywanos Druiden-Festung
hielt, würde sie mir, wenn sie auf mich zulief, die Waffe in die Brust stoßen können.
Aber sie ließ sich Zeit. Sie zögerte mein Ende hinaus. Sie wollte die Herrschaft noch genießen.
»So dicht vor dem Ende, Sinclair. Was fühlt man da? Kannst du das noch sagen? Wie ist es, wenn der Tod bereits über einem schwebt und seine Klauen ausgestreckt hat?«
»Nichts fühlt man«, flüsterte ich. »Man hat nur einen einzigen Wunsch in diesem Fall.«
»Ach ja? Welchen?«
»Man wünscht sich seinen Feind zum Teufel!«
»Das hatte ich mir gedacht«, rief sie lachend. »Ja, das dachte ich mir. Aber du irrst dich. Ich werde nicht zur Hölle fahren. Nicht in die Hölle, wie du sie dir als Mensch vorstellst. Ich weiß nicht, wo du landen wirst, Sinclair. Letztendlich ist es mir auch egal. Ich will dich nur langsam ausbluten sehen. Du hältst dich doch für einen Gerechten. Es macht mir Spaß, das Rad der Zeit mit dem Blut eines Gerechten beträufelt zu sehen…«
Sie ließ ihre Worte ausklingen. Ich wusste instinktiv, dass ich nichts mehr tun konnte. Auch ein erneutes Reden würde meinen Tod nicht hinauszögern.
Selina nahm Maß!
Ihre Augen blieben dabei starr wie Steine. Ich ließ mich davon nicht ablenken, aber ich krampfte mich zusammen.
Durch diesen Krampf merkte ich die Schmerzen, die sich rund um den Magen herum ausbreiteten.
»Langsam«, sagte sie, während sie auf mich zukam, »langsam und genussvoll werde ich dich durchbohren, Geisterjäger…«
***
Es gab zwei Menschen, die alles sahen und an ihrem eigenen Frust fast erstickten. Shao und Suko. Das »Fenster« gab ihnen den Blick auf das Geschehen frei. So sehr sie sich immer wieder bemüht hatten, es war ihnen nicht gelungen, es zu zerstören.
Ein paar Mal hatte Suko mit der Dämonenpeitsche zugeschlagen und war gescheitert. Es gab keinen Weg mehr in die andere Welt. Für normale Menschen war sie verschlossen.
Innerhalb der Aibon-Welt war eine magische Barriere aufgebaut worden.
»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte Shao mit einer Stimme, in der die Verzweiflung nicht zu überhören war. »Ich packe das einfach nicht. Das ist unwahrscheinlich und…«
»Warum hilft ihm das Rad nicht?«, fragte Suko.
Shao schüttelte nur den Kopf.
»Und auch sein Kreuz bringt nichts.«
»Er wird sterben. Durch das Schwert des Salomo. Ich glaube auch nicht, dass sie das Rad drehen wird. Egal in welche Richtung. Sie will einfach nur seinen Tod.«
Beide hatten erlebt, wie der Geisterjäger aus der Bewusstlosigkeit erwachte. Sie hatten nur nicht gesehen, wie John an das Rad der Zeit gebunden worden war. Da war die Szenerie vor ihnen in einen grünlichen Aibon-Nebel getaucht worden.
Jetzt sahen sie alles klar. Fast schon zu klar, und sie sahen auch, dass ihr Freund seine Bewusstlosigkeit überstanden hatte.
Er sprach mit Selina. Er gab Antwort auf ihre Bemerkungen, wobei sie nicht erkannten, dass sich ihr Mund bewegte, denn sie drehte ihnen den Rücken zu.
Es war schlimm. Es war frustrierend. Sie würden ihren Freund sterben sehen und bekamen es wie auf dem Tablett präsentiert. Selbst Shao, die als Kämpferin gekommen war, musste ihre eigene Hilflosigkeit einsehen. Unter dem Rand der Halbmaske her rannen Tränen hervor und nässten die Haut.
Musik erklang!
Möglicherweise eine Todesmelodie für John Sinclair. Einen anderen Grund konnten sich beide im Moment nicht vorstellen.
Es war keinesfalls die übliche Musik, denn sie hörten wieder das Flötenspiel in ihrem Rücken.
Überrascht starrten sie sich gegenseitig an. Dann drehten sie sich wie auf ein Kommando hin um.
Vor ihnen erschien der Rote Ryan. Er befand sich als schwach abgebildete Gestalt innerhalb des fremden Korridors.
Aber er kam näher. Seine Haltung war die bekannte. Er hatte die Arme angehoben und hielt das Mundstück der Flöte gegen die Lippen gedrückt. Dabei spielte er unverdrossen weiter, um mit seiner Melodie den Tod des Geisterjägers zu begleiten.
»Warum kommt er, Suko?«, fragte Shao.
»Du kannst es ihm nicht verbieten.«
»Ist er scharf darauf, zuzuschauen, wie John Sinclair getötet wird? Ist er das?«
»Das glaube ich nicht.«
»Du hältst noch zu ihm?«
»Ja.«
»Warum? Du…«
Suko winkte mit beiden Händen ab. »Lass es, Shao. Ich denke, dass er einen anderen Grund hat, hier zu erscheinen.«
Sie glaubte es nicht, sprach aber auch nicht dagegen. In den letzten Sekunden war der Rote Ryan schneller gegangen, als hätte er gespürt, dass er sich jetzt beeilen musste.
Shao
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